Ambler-Warnung
einen traumatisierten Veteranen?«
»Mein Lebensstil war nicht sehr geeignet für tiefer gehende Beziehungen. Nicht einmal für oberflächliche Beziehungen. Es ist schwierig, eine Romanze aufrechtzuerhalten, wenn man ohne Vorwarnung für sieben Monate nach Sri Lanka, Madagaskar, Tschetschenien oder Bosnien abberufen wird. Es ist schwierig, sich mit Zivilisten anzufreunden, wenn man weiß, dass man sie damit intensiver Überwachung aussetzt. Das ist reine Routine, aber wenn man in einem Special Access Program arbeitet, ist eine zivile Kontaktperson jemand, den du benutzt. Oder – und deshalb die Überwachung – jemand, der dich benutzt. Ein gutes Leben für Einzelgänger. Ein gutes Leben, wenn es dir nichts ausmacht, dass auf alle Beziehungen von Anfang an ein Verfallsdatum aufgedruckt ist wie auf einer Milchtüte. Es war ein Opfer. Ein großes Opfer. Aber es sollte mich weniger verwundbar machen.«
»Hat das geklappt?«
»Inzwischen glaube ich, es hat genau das Gegenteil bewirkt.«
»Ach, ich weiß nicht«, sagte Laurel. Die gedämpften Deckenlampen ließen ihr welliges Haar leuchten. »Bei meinem Glück wäre es vielleicht besser gewesen, allein zu bleiben.«
Ambler zuckte mit den Schultern. »Ich weiß, wie man sich fühlt, wenn Menschen sich verändern. Mein Vater war ein Trinker. Zuerst konnte er unheimlich viel vertragen, und dann auf einmal nicht mehr.«
»Ein aggressiver Alkoholiker?«
»Irgendwann werden die meisten aggressiv.«
»Hat er dich geschlagen?«
»Nur selten«, sagte Ambler.
»Selten ist viel zu oft.«
Ambler wich ihrem Blick aus. »Ich wurde sehr geschickt darin, seine Laune einzuschätzen. Bei Trinkern ist das schwierig, weil ihre Stimmung oft blitzartig umschlägt. Gerade eben haben sie noch hysterisch gelacht, und plötzlich schlagen sie dich mit der flachen Hand oder mit der Faust, und ihr Gesicht hat sich zu einem Ausdruck verdunkelt, der >dein freches Maul wird dir gleich vergehen, Bürschchen< bedeutet.«
»Du lieber Gott.«
»Hinterher tat es ihm immer schrecklich leid. Furchtbar, furchtbar leid. Du weißt ja, wie das ist: Der Kerl heult und verspricht, dass er sich bessern wird, und du glaubst ihm, weil du ihm glauben willst.«
Sie nickte. »Du musst ihm einfach glauben. So wie man glaubt, dass nach Regen irgendwann Sonnenschein kommen muss. Da hilft dir dein Instinkt auch nicht weiter.«
»Ich würde es Selbstbetrug nennen. Man ignoriert seinen Instinkt. Stell dir vor, du wärst dieser kleine Junge. Du wirst richtig gut darin, im Gesicht deines alten Herrn zu lesen. Du lernst zu erkennen, wenn es nur so aussieht, als sei er schlechter
Laune. Aber in Wirklichkeit suhlt er sich nur im Selbstmitleid.
Wenn du ihn dann fragst, ob du dein Taschengeld haben kannst oder ob er dir eine neue Actionfigur kauft, dann sieht er dich an, als würdest du ihm einen Gefallen tun. Dann gibt er dir einen Fünfer oder sogar einen Zehner und sagt: >Kauf dir was Schönes.< Nennt dich seinen lieben Sohn. Manchmal sieht es aus, als sei er richtig fröhlich. Aber wehe, du schaust ihn schräg an, dann geht das Gewitter los, und du weißt, dass er dir gleich ein paar mit dem Gürtel überzieht.«
»Du wusstest also nie, wie er reagieren würde. Er war vollkommen unberechenbar.«
»Nein, das ist es ja gerade«, sagte Ambler. »Ich lernte ihn zu lesen. Ich lernte, die Unterschiede, die Nuancen zu erkennen. Lernte, genau zu deuten, wie das Wetter gerade war. Als ich sechs Jahre alt war, kannte ich seine Launen so in- und auswendig wie das Alphabet. Ich wusste, wann ich ihm schleunigst aus den Augen gehen musste. Wusste, wann er in Geberlaune war. Erkannte, wann er wütend und aggressiv und wann er passiv und voller Selbstmitleid war. Und ich wusste immer, wenn er mich oder meine Mutter belog.«
»Was für eine Aufgabe für ein Kind.«
»Er verließ uns, als ich sieben wurde.«
»Wart ihr erleichtert, deine Mutter und du?«
»Ganz so einfach war es nicht.« Er verstummte.
Laurel schwieg eine Weile, und sie tranken den lausigen Kaffee. »Hast du auch mal was anderes gemacht? Was anderes als Spionage, meine ich.«
»Ein paar Sommerjobs. Als Kellner in einem Grillrestaurant, in einem Vergnügungspark vor der Stadt. Alle hofften immer, die Leute würden erst nach der Achterbahnfahrt ihre Spareribs futtern. Ich habe früher auch ganz gut gezeichnet.
Ich habe ein Auslandssemester in Paris verbracht und versucht, dort als Straßenkünstler Geld zu verdienen. Ich skizzierte Passanten und versuchte,
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