Amelia Peabody 02: Der Fluch des Pharaonengrabes
hüllte die Kleider des Pharaos in ihren Duft; die sprechenden Tiere warnten ihn, sich in acht zu nehmen …«
Jetzt hatte sie die schmale Grenze zum Wahnsinn überschritten. Sie war völlig übergeschnappt und redete wirres Zeug. Ich vermutete, daß nicht einmal ein kräftiger Klaps, mein übliches Heilmittel gegen Hysterie, in diesem Fall etwas ausrichten würde. Noch ehe ich entscheiden konnte, was ich tun sollte, preßte Madame Berengeria eine Hand auf ihr Herz und sank langsam zu Boden.
»Mein Herz … ich brauche ein Stärkungsmittel … ich habe mich überanstrengt …«
Mr. Vandergelt zog ein elegantes silbernes Brandyfläschchen hervor, dessen Inhalt ich der Dahingesunkenen verabreichte. Sie schlürfte das Getränk gierig, und indem ich ihr das Fläschchen vor die Nase hielt wie einem störrischen Maulesel eine Karotte, gelang es mir, sie in die Kutsche zu locken. Mary war das Ganze so peinlich, daß sie in Tränen ausbrach, doch als ich vorschlug, sie solle mit uns in der Kutsche fahren, schüttelte sie den Kopf.
»Sie ist meine Mutter. Ich kann sie nicht im Stich lassen.«
O’Connell und Karl boten an, sie zu begleiten, und so kam es denn auch. Die erste Kutsche machte sich auf den Nachhauseweg, und wir übrigen wollten schon folgen, als mir einfiel, daß Lady Baskerville die Nacht doch eigentlich im Hotel hatte verbringen wollen. Ich versicherte ihr, daß Emerson und ich auch zu Fuß zurückgehen könnten, falls sie ihr Vorhaben in die Tat umsetzen wolle.
»Wie können Sie es mir zutrauen, daß ich Sie im Stich lasse?« lautete die leidenschaftliche Antwort. »Wenn diese schreckliche Frau wirklich einen Herzanfall erlitten hat, müßten Sie zusätzlich zu Ihren anderen Verpflichtungen zwei Kranke versorgen.«
»Aufopfernd wie immer«, lobte Mr. Vandergelt.
»Vielen Dank«, sagte ich.
Nachdem wir das Haus erreicht hatten, krempelte ich die Ärmel hoch und begab mich zuerst in Arthurs Zimmer. Er schlief tief und fest. Also ging ich weiter, um nachzusehen, wie es um Madame stand. Die Ägypterin, die die Aufgabe hatte, die Dame zu bedienen, verließ gerade das Zimmer, als ich ankam. Auf meine Frage, wohin, zum Teufel, sie wolle, teilte sie mir mit, daß die Sitt Baskerville sie nach frischem Wasser geschickt habe. Deshalb erlaubte ich ihr, diesen Auftrag auszuführen.
Lady Baskerville beugte sich über die massige Gestalt, die sich auf dem Bett ausgebreitet hatte. In ihrem eleganten Kleid und dem Spitzenschal paßte sie ganz und gar nicht in ein Krankenzimmer, doch als sie die Bettwäsche glattstrich, waren ihre Bewegungen rasch und geschickt.
»Möchten Sie sie einmal ansehen, Mrs. Emerson? Ich glaube nicht, daß ihr Zustand ernst ist, aber wenn Sie meinen, daß wir Dr. Dubois holen sollten, werde ich sofort jemanden losschicken.«
Nachdem ich Berengerias Puls gefühlt und ihr Herz abgehorcht hatte, nickte ich zustimmend. »Das kann bis morgen warten, glaube ich. Im Augenblick fehlt ihr nichts, abgesehen davon, daß sie völlig betrunken ist.«
Lady Baskervilles volle rote Lippen verzogen sich zu einem spöttischen Lächeln. »Wenn Sie wollen, können Sie mir die Schuld geben, Mrs. Emerson. Sobald man sie aufs Bett gelegt hatte, griff sie unter die Matratze und zog eine Flasche hervor. Sie hat nicht einmal die Augen aufgeschlagen! Zuerst war ich zu überrascht, um einzuschreiten. Dann … nun, ich sagte mir, daß ein Versuch, ihr die Flasche zu entwenden, nur zu einem Ringkampf geführt hätte, aus dem ich nicht als Siegerin hervorgegangen wäre. Aber, um ehrlich zu sein, wollte ich, daß sie das Bewußtsein verliert. Jetzt verachten Sie mich sicherlich.«
In Wahrheit bewunderte ich sie sehr. Zum erstenmal war sie offen mit mir, und ich konnte ihr nicht zum Vorwurf machen, daß sie einen Gedanken, der mir selbst bereits gekommen war, in die Tat umgesetzt hatte.
Nachdem ich die Dienerin, die mit dem Wasser zurückgekehrt war, angewiesen hatte, gut acht zu geben und mich zu wecken, falls sich Madames Zustand änderte, ging ich mit Lady Baskerville in den Salon, wo sich die anderen versammelt hatten. Emerson hatte sie zusammengerufen, und als wir eintraten, hörten wir, wie Kevin O’Connell meinen Gatten wegen seiner Rücksichtslosigkeit tadelte.
»Miss Mary steht kurz vor einem Zusammenbruch!« rief er. »Sie gehörte eigentlich ins Bett. Sehen Sie sie doch nur an!«
Das Äußere der jungen Dame strafte seine Diagnose Lügen. Zwar waren ihre Wangen tränenverschmiert und ihr Kleid ziemlich
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