Amelia Peabody 02: Der Fluch des Pharaonengrabes
Ablenkungen von außen vergessen waren. Mein eigener Beitrag dazu war nicht unbeträchtlich.
Ich lag friedlich in den Armen meines Mannes und schlummerte ein. Doch in dieser Nacht war uns kein ungestörter Schlaf vergönnt. Kaum hatte ich die Augen geschlossen, als ich von einem entsetzlichen Schrei aus dem Schlaf gerissen wurde.
Ich bilde mir etwas darauf ein, daß ich sofort hellwach und bereit bin, alles Notwendige zu tun, wenn man mich jäh aus dem Schlaf reißt. Also erhob ich mich und schickte mich an, aus dem Bett zu springen. Unglücklicherweise hatte ich mich noch nicht wieder völlig an die Vorrichtungen gewöhnt, die in diesem Klima zum Schlafen nötig waren. Und so stürzte ich kopfüber ins Moskitonetz, das das Bett umhüllte. Bei meinen Versuchen, mich zu befreien, verwickelte ich mich nur noch tiefer in den Stoff. Die Schreie dauerten an. Inzwischen hatten sich ängstliche Rufe von irgendwoher im Haus dazugesellt.
»Hilf mir, Emerson«, rief ich ärgerlich. »Ich habe mich im Moskitonetz verfangen. Warum erhebst du dich nicht?«
»Weil du«, antwortete eine schwache Stimme aus dem Bett, »mir beim Aufstehen auf den Bauch getreten bist. Ich habe eben erst wieder Luft bekommen.«
»Dann nütze sie gefälligst für Taten, nicht für Worte. Befreie mich.«
Emerson gehorchte. Es wäre überflüssig, die Bemerkungen, die er währenddessen von sich gab, zu wiederholen. Nachdem er mich befreit hatte, rannte er zur Tür. Als seine Gestalt den Streifen Mondlicht aus dem offenen Fenster kreuzte, stieß ich einen Schrei aus.
»Emerson, deine Hosen – deinen Morgenmantel – irgend etwas …«
Mit einem üblen Fluch riß Emerson das erstbeste Kleidungsstück an sich, das ihm in die Finger kam. Es entpuppte sich als dasjenige, das ich vor dem Schlafengehen abgelegt hatte, ein Nachthemd aus dünnem weißem Leinen mit weißen Spitzensäumen. Er warf es mir mit einem noch übleren Fluch zu und fing an, seine Kleider zu suchen. Bis wir den Hof erreicht hatten, waren die Schreie verstummt. Jedoch hatte sich die allgemeine Aufregung nicht gelegt. Alle Mitglieder der Expedition umringten einen Diener, der auf dem Boden saß, seinen Kopf mit den Armen bedeckte und stöhnend hin und her schaukelte. Ich erkannte Hassan, einen von Lord Baskervilles Männern, der als Nachtwächter angestellt war.
»Was ist geschehen?« fragte ich den Nächstbesten. Zufällig handelte es sich um Karl, der mit verschränkten Armen dastand. Er war vollständig bekleidet. Nachdem er sich in seiner steifen, deutschen Art verbeugt hatte, antwortete er ruhig: »Dieser Tor behauptet, einen Geist gesehen zu haben. Sie wissen ja, wie abergläubisch diese Leute sind; und zur Zeit …«
»Lächerlich«, sagte ich ziemlich enttäuscht. Ich hatte schon gehofft, diese Störung sei von Lord Baskervilles Mörder hervorgerufen worden, der zum Tatort zurückgekehrt war.
Emerson packte Hassan beim Genick und zerrte ihn vom Boden hoch. »Genug!« brüllte er. »Bist du ein Mann oder ein sabberndes Kleinkind? Sprich! Welcher Anblick hat unseren tapferen Nachtwächter in diesen Zustand versetzt?«
Emersons Methoden sind zwar unkonventionell, aber für gewöhnlich erfolgreich. Hassans Schluchzer erstarben. Er fing an, mit den Beinen zu strampeln, und Emerson ließ ihn herunter, bis seine staubigen, nackten Fußsohlen den glattgestampften Boden des Hofes berührten.
»Oh, Vater der Flüche«, stieß er hervor. »Wirst du deinen Diener beschützen?«
»Gewiß, gewiß. Sprich.«
»Es war ein Efreet, ein böser Geist«, flüsterte Hassan und rollte die Augen. »Der Geist desjenigen, der das Gesicht einer Frau und das Herz eines Mannes hat.«
»Armadale!« rief Mr. Milverton aus.
Er stand neben Lady Baskerville, die mit ihren zarten, weißen Händen seinen Ärmel umklammerte. Aber es war schwer zu sagen, welcher von beiden wen stützte, denn er war ebenso blaß wie sie. Hassan nickte heftig, oder wenigstens versuchte er es; Emerson hielt ihn immer noch am Genick gepackt.
»Die Hand des Vaters der Flüche erschwert mir das Sprechen«, beklagte er sich.
»Oh, tut mir leid.« Emerson ließ ihn los.
Hassan rieb sich den mageren Hals. Er hatte sich von seinem Schrecken erholt, und ein listiges Glitzern trat in seine Augen. Allmählich schien es ihm zu gefallen, im Mittelpunkt zu stehen.
»Ich habe ihn deutlich im Mondlicht gesehen, als ich meine Runde machte«, sagte er. »Die Gestalt desjenigen mit dem Gesicht …«
»Ja, ja«, unterbrach ihn Emerson.
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