Amelia Peabody 02: Der Fluch des Pharaonengrabes
nächsten Morgen sprang er behende aus dem Bett. Er verschmähte meine Hilfe und klebte sich – jedem Versuch, seine Verletzung zu verbergen, zum Hohn – ein riesiges Stück Heftpflaster auf die Stirn.
Meine Geduld mit ihm war am Ende. Die archaische Szene, die sich zwischen ihm und unseren Männern abgespielt hatte, hatte in mir die entsprechenden archaischen Gefühle wachgerufen; doch als ich selbige gegenüber Emerson zum Ausdruck brachte, erwiderte er, er habe Kopfschmerzen. Das war sicherlich eine akzeptable Entschuldigung, doch ich war trotzdem verärgert.
Natürlich ließ ich mir meine Gefühle mit der mir eigenen Würde nicht anmerken, und als wir uns auf den Weg ins Tal machten, verbesserte sich meine Stimmung. Es war einer jener herrlichen Morgen, wie sie in Oberägypten typisch sind. Die aufgehende Sonne erhob sich majestätisch über den östlichen Bergen, und ihre goldenen Strahlen schienen uns mit liebevollen Armen zu umfangen, so wie die Arme des Gottes Aton den göttlichen König, seinen Sohn, umfingen.
Doch an diesem Tag, der so vielversprechend begonnen hatte, folgte ein Unglück auf das andere. Kaum waren wir am Grab angekommen, stand schon der Imam vor uns. Er fuchtelte drohend mit einem langen Stab und ließ eine leidenschaftliche Tirade gegen uns los, in deren Verlauf er uns mit Tod und Verdammnis drohte und dramatisch auf Emersons verpflasterte Stirn deutete, den jüngsten Beweis dafür, daß der Fluch des Pharaos immer noch wirksam sei.
Emerson mag das abstreiten, doch ich bin überzeugt, daß er derartige Auseinandersetzungen genießt. Mit verschränkten Armen hörte er höflich und gelangweilt zu. Einmal gähnte er sogar. Anstatt den Mann zu unterbrechen, ließ er ihn endlos weiterreden, und schließlich geschah das Unvermeidliche. Als der Imam anfing, sich zu wiederholen und sich das erhoffte Wortgefecht zu einem Monolog entwickelte, zeigten auch die Zuhörer allmählich Anzeichen von Langeweile. Schließlich fielen dem Imam keine Verwünschungen mehr ein, was selbst dem größten Fanatiker irgendwann einmal passieren muß. Nachdem er aufgehört hatte, sich zu ereifern, wartete Emerson noch ein Weilchen ab. Dann sagte er höflich: »War das alles? Heiliger Mann, ich danke Euch für Euer Interesse«, schritt respektvoll an dem aufgebrachten Geistlichen vorbei und stieg ins Grab hinab.
Eine knappe Stunde später kam es zu einer weiteren Störung. Ich hörte aus dem Grab wütendes Geschrei und ging deshalb los, um nachzusehen, was vorgefallen war. Karl und Mr. Milverton standen sich in Kampfhaltung gegenüber. Milverton hatte die Beine gespreizt und die Fäuste erhoben. Karl versuchte, sich aus dem Griff von Emerson, der ihn festhielt, zu befreien und verlangte, losgelassen zu werden, damit er eine nicht näher erläuterte Strafmaßnahme durchführen könne. Eine anschwellende Beule an Karls Kinn zeigte, daß der Kampf nicht allein mit Worten geführt worden war.
»Er hat Miss Mary beleidigt!« schrie Milverton, wobei er in Boxerhaltung verharrte.
Karl erwiderte aufgebracht: Nicht er habe die Dame beleidigt, sondern Milverton. Als er sich dagegen verwahrt habe, habe Milverton ihn geschlagen.
Milvertons sonst eher blasses Gesicht lief rot an, und die Prügelei wäre wohl weitergegangen, hätte Emerson nicht den einen jungen Mann mit eisernem Griff am Oberarm festgehalten und dem anderen die Luft abgeschnürt, indem er ihn am Kragen packte.
»Wie lächerlich!« Mary, die stumm danebengestanden hatte, trat nun vor. Ihre Wangen waren gerötet, und ihre Augen funkelten. Sie sah erstaunlich hübsch aus; und einen Augenblick lang hörten die Männer, einschließlich meines Gatten, auf zu streiten und starrten sie hingerissen an.
»Niemand hat mich beleidigt«, verkündete sie. »Ich schätze Ihre Bemühungen, mich zu verteidigen. Doch Sie benehmen sich sehr kindisch, und ich bestehe darauf, daß Sie sich die Hand reichen und sich wie gute Kameraden wieder vertragen.«
Diese Worte – bei denen sie unter ihren dichten schwarzen Wimpern Karl und Milverton gleichermaßen verführerisch ansah – bewirkten zwar nicht, daß die beiden sich wieder vertrugen, doch sie zwangen sie zu einer Geste der Versöhnung. Mit frostiger Miene reichten sie einander die Fingerspitzen. Mary lächelte. Emerson hob verzweifelt die Hände, und ich kehrte zu meinem Schutthaufen zurück.
Am frühen Nachmittag kam Emerson zu mir herauf.
»Wie läuft’s denn so?« fragte er freundlich und fächelte sich dabei mit
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