Amelia Peabody 05: Der Sarkophag
einer Grimasse. »Igitt, igitt, scheußlich, scheußlich«, kreischte sie. »Igitt, scheußlich!«
Ramses zog ein langes Gesicht, meisterte seine Enttäuschung jedoch mannhaft. Er wandte sich mir zu und zerrte einen weiteren ramponierten Strauß (hauptsächlich Stengel) aus seinem Hemd.
»Für dich, Mama.«
»Danke, Ramses«, sagte ich und packte das glitschige Geschenk mit meinen Fingerspitzen. »Das war zwar nett gemeint, aber wir werden dir leider dein Taschengeld kürzen müssen, um das Schmerzensgeld für die von dir angegriffenen Personen zahlen zu können. So langsam summiert es sich, Ramses.«
Wie ein quakender Frosch hatte Emerson seinen Mund geöffnet und wieder geschlossen. »Warum ist er eigentlich so angezogen, Peabody?« fragte er mit schwacher Stimme.
»Ich versuche, meine Verkleidungen zu optimieren«, erklärte Ramses. »Du erinnerst dich, Papa, daß ich die Sachen mitnehmen durfte, die wir in dem Fundus dieses Meisters der Verstellung fanden, dieser Person, die auch unter ihrem Decknamen …«
Ich beeilte mich, ihn zu unterbrechen, doch Emersons Gesicht war bereits dunkel angelaufen. Jede Erinnerung an diese unsägliche Episode und an den noch unsäglicheren Mann hatte verheerende Auswirkungen auf den Blutdruck meines geschätzten Gatten.
»Du darfst das Haus nie wieder unerlaubt verlassen, Ramses«, sagte ich – nur zu gut wissend, daß dieses Verbot fruchtlos blieb, da Ramses bereits auf Wege sann, es zu umgehen. »Geh nach oben und … Warte einen Augenblick. Was ist das für eine Schramme auf deiner Stirn? Und sag jetzt nicht, sie stamme von Percy.«
»Das hatte ich auch nicht vor«, erwiderte Ramses.
Percy räusperte sich und trat einen Schritt vor. »Aber es ist meine Schuld, Sir, und Tante Amelia – ich meine, daß Ramses unerlaubt das Haus verlassen hat. Ich wollte, daß er mit mir spielte; ich wollte in den Garten gehen, um Schmetterlinge für meine Sammlung zu suchen, wißt ihr, und als er nicht mitwollte, habe ich mich möglicherweise in der Form ausgedrückt, daß er Angst habe, ohne sein Kindermädchen oder seine Mama das Haus zu verlassen … Es war nur ein Scherz, Sir, dennoch übernehme ich die volle Verantwor …«
Ramses stürzte sich mit einem Wutschrei auf seinen Cousin, der seinem geschätzten Erzeuger alle Ehre gemacht hätte. Emerson packte ihn am Kragen.
»Schüttle ihn nicht, Emerson«, kreischte ich. »Um Himmels willen, schüttle ihn nur ja nicht …«
Aber es war bereits zu spät.
Wir alle gingen nach oben, um uns umzukleiden. Die einzige, die von den Spritzern der unsäglichen Brühe verschont geblieben war, war Violet. Als Ramses an ihr vorüberschlenderte, deutete sie mit ihrem pummeligen weißen Finger auf ihn. »Igitt«, sagte sie. »Scheußlich.« Ramses’ zerzauster Schopf sank noch tiefer.
An diesem Abend nahmen wir den Tee ausgesprochen spät ein, trotzdem war ich entschlossen, diese Zeremonie beizubehalten, da meiner Meinung nach zu einer guten Kindererziehung auch eine regelmäßige gesellige Familienzusammenkunft gehörte. Es war ein Opfer, zu dem ich mich allerdings moralisch verpflichtet fühlte. Emerson spürte keinerlei moralische Verpflichtung, aber er fügte sich, da ich darauf bestand.
Violet spielte mit ihrer Lieblingspuppe, einem affektiert lächelnden Geschöpf, das fast so groß war wie sie und (meine Aufrichtigkeit zwingt mich zu dieser Bemerkung) das ihr mit seinen Pausbäckchen aus Porzellan und den dicken blonden Locken verblüffend ähnelte. Sie tat so, als füttere sie die Puppe mit ihrem Sandwich, und ließ sie an ihrem Tee nippen (der mit einem kräftigen Schuß Milch verdünnt war, was ich sicherlich nicht zu erwähnen brauche). Als sie Ramses’ beobachtenden Blick bemerkte, bat sie ihn lächelnd, sich zu ihr und ihrer »Freundin Helen« zu gesellen, und fügte schließlich hinzu: »Es tut mir leid, daß ich die Blumen so schroff abgewiesen habe, Cousin Ramses. Aber weißt du, sie waren furchtbar scheußlich.«
Ich erwartete, daß Ramses höflich ablehnen würde, doch er nahm ihre Einladung an und ging sogar so weit, ihre Puppe auf seinen Knien zu schaukeln und ihre goldenen Locken zu streicheln. Sein unseliges Abenteuer wurde mit keinem Wort mehr erwähnt; ich halte nichts von ständigen Vorhaltungen, und Ramses hatte sich bereits mit seiner Bestrafung abgefunden – der Beschlagnahmung der gesamten Ausstattung, die er wider besseres Wissen aus dem geheimen Hauptquartier des Meisterverbrechers hatte mitnehmen
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