Amelia Peabody 06 : Verloren in der Wüstenstadt
sich. Ich drehte mich um. Hinter uns stand unser vermißter Diener.
Kemit verschränkte die Arme. »Warum kreischt der weiße Mann wie eine Frau?«
Ich konnte Reggie nicht zum Vorwurf machen, daß Kemits plötzliches Erscheinen ihn erschreckt hatte. Deshalb fiel meine Antwort ein wenig scharf aus: »An dem Tag, an dem Sie mich ein solches Geräusch ausstoßen hören, Kemit, dürfen Sie derartig beleidigende Vergleiche anstellen. Mr. Forthright war überrascht wie wir alle. Wir glaubten, Sie hätten uns verlassen.«
»Wie Sie sehen, ist es nicht so, Herrin.«
»Wo sind Ihre Freunde?«
»Heute ist Ruhetag«, antwortete Kemit. Er preßte die Winkel seines dünnlippigen Mundes zusammen, als ob seiner Ansicht nach damit alles gesagt wäre. Also fragte ich ihn nicht, wo seine Freunde die freie Zeit verbrachten. Außerdem ging es mich, wie Emerson mir gesagt hatte, auch gar nichts an.
»Nun gut«, meinte ich. »Ich entschuldige mich für meinen ungerechtfertigten Verdacht, Kemit. Gehen Sie und genießen Sie Ihren Ruhetag.«
Kemit verbeugte sich und verschwand. Als Ramses sich erhob, um ihm zu folgen, rief ich ihn zurück. »Von nun an, junger Mann«, sagte ich streng, »bleibst du immer in meiner Sichtweite oder in der deines Vaters. Wir wissen zwar nicht, ob Kemit etwas mit unseren Schwierigkeiten zu tun hat, jedoch ehe wir den Schuldigen nicht kennen, darfst du mit niemandem allein fortgehen.«
»Genau, Peabody«, stimmte Emerson mir zu. »Und dieses Verbot schließt auch Sie ein, Mr. Forthright. Zum Teufel, Sie sind zu rasch mit der Pistole bei der Hand. Werden Sie sich hinsetzen und sich benehmen, wenn ich jetzt Ihren Arm loslasse?«
»Gewiß, Herr Professor«, antwortete Reggie. Mit der freien Hand fuhr er sich über die schweißnasse Stirn. »Ich muß mich entschuldigen. Aber als er da so einfach aufgetaucht ist wie ein Geist aus der Flasche … Sie mögen mich für einen Hitzkopf halten, aber ich schwöre Ihnen, dieser Mann weiß mehr, als er verrät. Ich verstehe nicht, warum Sie ihm so vertrauen.«
»Ich traue niemandem«, meinte Emerson zähnefletschend. »Und jetzt verschwenden wir nicht mehr weiter unsere Zeit und wenden uns wieder unseren Problemen zu. Hoffentlich meinten Sie es nicht ernst, als Sie uns Ihre Absicht mitteilten, selbst nach Ihrem Onkel zu suchen.«
Er ließ Reggies Arm los. Der junge Mann rieb ihn, wobei sich sein Gesicht verzog. »Völlig ernst, Herr Professor. Ich schäme mich nur, daß ich so lange gebraucht habe, um mich zu entscheiden. Ich werde sofort zur Garnison aufbrechen, um Slatin Pascha um Rat zu fragen und die nötigen Vorräte zu kaufen.«
Emerson nahm Pfeife und Tabaksbeutel heraus. »Möglicherweise sollten Sie zuerst festlegen, wohin Sie eigentlich wollen. Sie haben ja nicht einmal die angebliche Karte, die Ihr Großvater erhalten hat. Er ließ sie bei mir, und ich habe sie ihm nie zurückgegeben.«
Ein Lächeln breitete sich auf dem Gesicht des jungen Mannes aus. »Mein Großvater hat sie kopiert – und ich kopierte meinerseits seine Kopie. Ich habe sie bei mir. Und ich vermute, das Original befindet sich ebenfalls hier bei Ihnen. Habe ich recht?«
Emerson stopfte konzentriert seine Pfeife. Erst als er damit fertig war und sie angezündet hatte, antwortete er: »Sie haben ins Schwarze getroffen, Mr. Forthright. Schauen wir uns doch einmal Ihre an.«
Reggie zog ein zusammengefaltetes Stück Papier aus der Brieftasche und breitete es auf der Packkiste aus, die als Tisch diente. Das Papier bestand aus zwar dünnem, aber solidem Pergament, auf dem die frisch gezeichneten Linien viel klarer hervortraten als auf dem Original. (Ich füge eine Kopie der Karte bei, um dem Leser das Verständnis der folgenden Beschreibung zu erleichtern. Allerdings muß ich besagten Leser darauf hinweisen, daß gewisse Einzelheiten absichtlich verändert oder weggelassen wurden. Die Gründe dafür treten im weiteren Handlungsverlauf zutage.)
Am rechten Rand des Papiers stellte eine Schlangenlinie die ausladende Kurve dar, die der Nil an dieser Stelle beschreibt.
Zwei Punkte am Flußufer waren nur mit Initialen bezeichnet: »G. B.« und »M.«. Eine gestrichelte Linie, etwa parallel zum nördlichen Teil des Flusses, der gerade verlief, war mit »Darb el A.« beschriftet, eine weitere Linie, südwestlich vom südlichsten Teil der Schlangenlinie, trug die Aufschrift »Wadi el M.«. Am linken Rand der Seite befand sich ein skizzierter Pfeil. Daneben stand das Wort
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