Amelia Peabody 07: Die Schlange, das Krokodil und der Tod
des Zeltes gelegt. Der Wachposten schwor, er wäre sofort aufgewacht, wenn jemand über ihn hinweggestiegen wäre.
»Lassen Sie’s gut sein, Cyrus!« rief ich. »Der Mörder ist nicht auf diesem Weg hereingekommen. Kommen Sie her und sehen Sie selbst.«
Der Schlitz in der Zeltwand wäre wohl meiner Aufmerksamkeit entgangen, hätte ich sie nicht genau abgesucht. Er war mit einem sehr scharfen Messer in den Stoff geschnitten worden – wahrscheinlich eben dem, das Mohammeds knochige Brust durchbohrt hatte.
»Der Mörder hat das Zelt nicht einmal betreten müssen«, sagte ich. »Er brauchte nur seinen Arm hineinzustrecken und zuzustoßen. Er muß genau gewußt haben, wo Mohammed lag. Und ich hatte die Lampe angelassen, damit der Wächter von Zeit zu Zeit einen Blick hineinwerfen konnte. Hier nach Indizien zu suchen, war reine Zeitverschwendung. Sehen wir lieber nach, ob er draußen Fußabdrücke hinterlassen hat.«
Natürlich war das nicht der Fall; der harte Erdboden hinterließ keine Fußabdrücke.
Ich schickte Kevin fort, der froh war, sich aus dem Staub machen zu können. Dann nahm ich Cyrus, der ihm schon folgen wollte, beim Arm und hielt ihn zurück.
»Werden Sie jetzt die Vorsichtsmaßnahmen ergreifen, die ich vorgeschlagen habe?« zischte ich. »Charlie muß unter Arrest gestellt werden! Bei Kevin waren Sie bereit, zu solchen Mitteln zu greifen …«
»Und das bin ich immer noch«, meinte Cyrus finster. »Die Archäologie ist nicht der einzige Berufszweig, dessen Angehörige sich zuweilen von Habgier verführen lassen.«
Ich glaube, ich schnappte laut nach Luft. »Sie meinen doch nicht etwa …«
»Wer könnte besser wissen, daß Sie eine Einladung erhalten haben, der Sie nicht widerstehen können, als der Mann, der sie selbst geschickt hat? Schon von Anfang an kam mir etwas komisch vor. Ein unverfrorener Bursche wie O’Connell würde sich wahrscheinlich in Ihr Vertrauen einschleichen, anstatt Sie direkt zu sich zu bitten. Er hat Sie ja regelrecht überlistet, ihn hierherzubringen, und nun schauen Sie sich an, was geschehen ist – in der ersten Nacht nach seiner Ankunft.«
»Nein«, sagte ich. »Kevin war es gewiß nicht!«
Diese Worte sprudelten nicht zum erstenmal über meine Lippen. Kevin konnte sie unmöglich gehört haben, aber genau in diesem Moment wandte er sich um und sah zurück. Vielleicht waren es meine überstrapazierten Nerven, vielleicht mein Blickwinkel, der sein Gesicht verzerrte, doch seine Züge wirkten verschlagen und tückisch, ein Ausdruck, so bedrohlich, wie ich ihn bislang noch nie an ihm bemerkt hatte.
Mit Kevins wenig brauchbarer Hilfe verhörte ich die anderen, um festzustellen, ob sie ein Alibi hatten. Ich rechnete nicht mit verwertbaren Resultaten, und ich bekam auch keine. Jeder behauptete, er habe den Schlaf des Erschöpften und Gerechten geschlafen, und stritt ab, etwas Ungewöhnliches gehört zu haben. Charles schwor, René könne ihr gemeinsames Zelt nicht verlassen haben, ohne ihn zu wecken; René bestätigte umgekehrt dasselbe. Doch das hatte nichts zu bedeuten. Schließlich konnte ich das von Bertha ebenfalls sagen – was ich auch tat. Allerdings hatte es sicherlich nicht mehr als fünf Minuten gedauert, die Greueltat zu begehen. Und wir alle – ob schuldig oder unschuldig – waren so müde gewesen, daß wir tief und fest geschlafen hatten.
Emerson beobachtete mich, ohne seine säuerlichbelustigte Miene zu verbergen. »Sind Sie nun zufrieden, MISS Peabody?« meinte er schließlich. »Ich hätte Ihnen gleich sagen können, daß das reine Zeitverschwendung ist. Hat außer mir sonst jemand die Absicht, heute zu arbeiten?«
René und Charles, die das als Befehl verstanden – wie es offenbar auch gemeint war –, folgten Emerson. Der Kater tat es ihnen gleich.
Während ich meine Ausrüstung – Notizblock, Bleistifte, Meßstab, Wasserflasche, Kerzen und Streichhölzer – zusammensuchte, war ich gedrückter Stimmung. Falls der Tag so weitergehen würde, wie er angefangen hatte, wußte ich nicht, wie ich ihn überstehen sollte. Emerson nannte mich wieder MISS Peabody. Und er hatte mich heute nicht aufgefordert, ihm behilflich zu sein. Anstatt uns näherzukommen, wie ich gehofft hatte, waren wir weiter voneinander entfernt als je zuvor.
Auch Mohammeds Dahinscheiden, ehe er Gelegenheit gehabt hatte, zu reden, war entmutigend.
Und allein das Wissen, wo wir heute arbeiten würden, hätte schon genügt, um mir die Laune zu verderben, wenn es da noch etwas zu
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