Amelia Peabody 11: Der Fluch des Falken
sich nur selten der Mühe, sich namentlich vorzustellen.«
»Großer Gott«, hauchte ich.
»Der Allmächtige hat nichts damit zu tun«, entgegnete Ramses und bot mir eine weitere Zigarette an. »Die Behausung war unsäglich – ein einziges Zimmer voller Müll, Fliegen und anderem Ungeziefer. Ich konnte sie doch nicht dort lassen. Deshalb besorgte ich ihnen eine gepflegtere Unterkunft und zahlte Rashida wöchentlich eine Geldsumme unter der Bedingung, daß sie sich – äh – zur Ruhe setzte. Ich machte es mir zur Angewohnheit, gelegentlich bei ihr vorbeizuschauen, um mich zu vergewissern, daß sie ihr Versprechen einhielt. Als Sennia mich schließlich Vater nannte, brachte ich es nicht übers Herz, ihr das zu verbieten. Sämtliche ihrer Spielgefährten hatten Väter; sie kannte das Wort und war noch zu klein, um zu begreifen, und …«
»Du fingst an, sie zu mögen«, bemerkte ich.
»Auch ich bin nicht völlig immun gegenüber zärtlichen Gefühlen, Mutter. Nachdem sie mir vertraute, erinnerten mich ihr Lachen und ihre Gesten gelegentlich an … an jemand anderen.« Er grinste mich an, und sein Gesicht war so jung und verletzlich, daß ich hätte schreien mögen.
»Warum hast du uns das nicht erzählt?« wollte ich wissen.
»Soll ich mit jedem Problem zu meiner Mutter rennen? Oh, ich hätte es euch irgendwann erzählt, aber ihr hattet schon genug Sorgen, und für diese Sache seid ihr ebensowenig verantwortlich wie ich.«
Es hätte mich auch erstaunt, wenn er anders reagiert hätte, dachte ich. Andere um Unterstützung zu bitten hatte noch nie zu seinen Gepflogenheiten gezählt.
»Ich frage mich, was Kalaan mit dieser Sache zu tun hat«, bemerkte Emerson nachdenklich.
»Er ist genausowenig Sennias Großvater wie du«, erwiderte Ramses. »Du weißt doch, wie er ist. Allerdings ist er ein gewiefter alter Halunke, der die Sache geschickt eingefädelt hat. Sie trug Lumpen, obwohl ich ihr anständige Kleidung besorgte, und ich habe sie schon seit Wochen nicht mehr so verdreckt gesehen. Was er sich damit erhoffte –«
»Geld, natürlich«, warf ich ein. »Zweifellos rechnete er damit, daß wir Stillschweigen in der Sache wahren wollten. Aber wie jemand, selbst eine … eine so hinterhältige Figur wie Kalaan, davon ausgehen konnte, daß wir das Kind – irgendein Kind – verstoßen …«
»Schon gut, meine Liebe«, unterbrach mich Emerson und tätschelte meine Hand.
Ramses drückte seine Zigarette aus und erhob sich. »Ich muß zu ihr zurück. Sie versuchte zwar, nicht zu weinen, trotzdem war sie sehr verängstigt.«
»Ich begleite dich«, erwiderte ich. »Die Gegenwart einer Frau beruhigt die arme Kleine vielleicht.«
Ramses blickte zu seinem Vater, der rasch einwarf: »Wo ist eigentlich Nefret? Sie kann hervorragend mit Kindern umgehen, und sie wird sich für ihre Fehleinschätzung bestimmt bei dir entschuldigen wollen, sobald sie die Wahrheit erfährt.«
»Ihr kanntet die Wahrheit ebenfalls nicht«, bemerkte Ramses. Sein Gesicht wirkte verschlossen, und der Unterton in seiner Stimme war neu für mich. »Trotzdem war euer Vertrauen so groß, daß ihr mir glaubtet, noch bevor ich erklärte, daß ich weder ein Lügner noch ein Feigling oder ein … Dafür danke ich euch. Das bedeutet mir sehr viel.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, stürmte er aus dem Zimmer.
»Ach du meine Güte«, entfuhr es mir. »Emerson, geh zu Nefret. Sie wird froh sein, wenn sie erfährt, daß sie sich in ihm geirrt hat, und mit allen Mitteln versuchen, das wiedergutzumachen.«
Ich eilte zum Badezimmer, aus dem laute Angstschreie ertönten. Fatima hatte kapituliert; breit grinsend beobachtete sie Ramses’ Bemühungen, das Kind in die Wanne zu setzen. Wasser tropfte von seinem Kinn und hinterließ dunkle Flecken auf seiner Kleidung. »Sie ist doch schon gebadet worden«, erklärte er zu seiner Verteidigung. »Vielleicht ängstigt sie die Größe der Wanne. Aber, kleine Taube, das ist doch nur Wasser – schau, ich stelle nur deine Füße … Nein? Nein.« Er wischte sich mit dem Ärmel über sein Gesicht. »Mutter, hast du irgendeine Idee?«
»Was ist denn hier los?« Die Hände in die Hüften gestemmt, baute sich Emerson im Türrahmen auf und musterte uns kritisch. »Welch ein Gebrüll! Haben wir einen Löwen im Haus? Wo ist er? Wo hat er sich versteckt?« Er fing an, die Türen sämtlicher Badezimmerschränke zu öffnen und warf wahllos Handtücher auf den Boden, während das Kind ihn fasziniert beobachtete.
Es ist mir absolut
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