Amelia Peabody 11: Der Fluch des Falken
suchen«, bemerkte Ramses mit unterkühlter, gleichgültiger Stimme. »Alle Gegenstände, die angeblich von David verkauft wurden oder Abdullah gehört haben könnten. Je mehr wir davon aufspüren, um so größer wird unsere Chance, ein Verhaltensmuster zu entwickeln, das uns einen Hinweis auf die Identität dieses Individuums gibt.«
»Ganz recht«, pflichtete ihm Nefret bei. »Aber wie sollen wir deiner Meinung nach vorgehen? Wir können die Antiquitätenhändler nicht rundheraus fragen, ob sie in neuerer Zeit Kunstgegenstände von David erworben haben; sie würden sich wundern, warum er uns das verschwiegen hat.«
»Gütiger Himmel, das stimmt«, ereiferte ich mich. »Wir dürfen nicht den leisesten Verdacht erregen, daß die Transaktionen nicht einwandfrei waren. Aber wie …«
Ich beendete meinen Satz nicht. Das war auch nicht notwendig; wir alle kannten die Antwort. Als ich Emersons Gesichtsausdruck bemerkte, sank mein Herz ins Bodenlose. Seine Augen glänzten, seine zuvor verkrampfte Mundpartie umspielte ein Lächeln.
»Indem wir unsere wahre Identität verschleiern«, erklärte er ausgelassen. »Das ist es. Als reicher Sammler verkleidet, werde ich behaupten, daß ich gerüchteweise von einigen hervorragenden Stücken gehört habe, die vor kurzem auf den Markt gekommen sind –«
»Nein, Emerson«, warf ich ein. »Nein, mein Lieber. Du nicht.«
»Warum zum Teufel eigentlich nicht? Ich hoffe doch«, schnaubte Emerson, »du willst damit nicht andeuten, daß ich eine solche Maskerade nicht ebenso kompetent wie jeder … jeder andere bewältigen kann.«
Vielsagend blickte er zu Ramses.
Ramses’ Erfahrung in der zweifelhaften Kunst der Tarnung seiner Identität war für seinen Vater eine ständige Quelle des Verdrusses, andererseits erfüllte sie ihn auch mit Stolz; zum einen war sie von einem Individuum ausgelöst worden, das Emerson ganz besonders verachtete, zum anderen wünschte sich mein Gatte insgeheim, daß er seinen Sohn auf diesem Gebiet übertraf. Er hat eine Neigung zum Theatralischen und eine Vorliebe für Bärte, und das vermutlich, weil ich ihn nicht nur einmal, sondern sogar zweimal dazu überredet hatte, sich von seinem eigenen zu trennen! Unglücklicherweise kann Emerson mit dieser Fähigkeit nicht glänzen. Seine auffällige Körperstatur verurteilt jede Verkleidung zum Scheitern, und sein aufbrausendes Temperament geht bei der geringsten Provokation mit ihm durch.
Klugerweise schwieg Ramses. Ich hingegen erwiderte: »Ich deute nichts an, Emerson, sondern sage es so, wie es ist. Es gibt nichts, was die Farbe deiner saphirblauen Augen, deine markante Kinnpartie, deine imposante Größe oder deine beeindruckende Muskulatur verändern könnte.«
Die Adjektive wirkten zwar besänftigend, trotzdem hatte er sich viel zu sehr in seinen Plan verrannt, als daß er kampflos aufgegeben hätte. »Ein Bart«, hub er an. »Nein, Emerson. Ich weiß, wie sehr du Bärte liebst, aber für diesen Zweck sind sie ungeeignet.«
»Ein Bart und ein russischer Akzent«, schlug Emerson vor. »Njet, Towarischtsch!«
Ramses stöhnte leise. Nefrets Lippen zitterten. Sie versuchte, ernst zu bleiben.
»Also gut«, erwiderte ich. »Ich werde dich begleiten, natürlich ebenfalls inkognito. Als deine Ehefrau? Nein, als deine Geliebte. Eine französische Geliebte. Mit tizianroter Perücke und einer dicken Schicht Make-up, des weiteren – äh – enganliegender champagnerfarbener Seide und jeder Menge Schmuck. Topas oder meinetwegen auch Citrin.«
Emerson starrte mich an. Sein Gesichtsausdruck verriet mir, daß er sich gerade bildhaft den von mir beschriebenen Aufzug vorstellte. »Hmmm«, brummte er.
»Vater«, entfuhr es Ramses. »Du willst doch nicht etwa zulassen, daß Mutter in der Öffentlichkeit als … als –« Emerson brach in schallendes Gelächter aus. »Gütiger Himmel, laß dich nicht ins Bockshorn jagen, mein Junge.
Du weißt doch, daß sie hemmungslos übertreibt. Zumindest glaube ich nicht … Also gut, Peabody, ich gebe mich geschlagen. Wir überlassen es Ramses, was?«
»Danke, Vater.«
»Trotzdem ist die Sache mit der französischen Geliebten eine fabelhafte Idee«, meinte Nefret nachdenklich.
»Ich brauche nicht einmal eine Perücke. Etwas Henna reicht völlig aus.«
Aus Briefsammlung B
Liebste Lia,
eigentlich müßte ich »und David« hinzufügen, denn ich weiß sehr wohl, daß Du in den ersten überglücklichen Momenten Eurer jungen Ehe alles mit ihm teilen möchtest. Trotzdem, meine
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