Amnion 4: Chaos und Ordnung
aufgenommen hatte. Falls das zutraf, sah sich die Rächer einem überaus starken Widersacher gegenüber; der Liquidator wurde die Vernichtung mehrerer anderer Raumer nachgesagt, und nur der Umstand, daß sie damals über keinen Ponton-Antrieb verfügte, hatte verhindert, daß sie mit ihrem hochspeziellen Geschütz noch mehr Unheil anrichtete.
All das war tatsächlich schon übel genug. Aber es kam noch schlimmer.
Auf Warden Dios’ persönliche Anweisung sollte die Rächer, sobald sie sich in Reichweite befand, mit allerhöchster Priorität der Posaune einen Funkspruch übermitteln.
Die Mitteilung hatte einen nur kurzen Text. Er lautete: Warden Dios an Isaak: Prioritätscode Gabriel. Zeigen Sie diese Nachricht Nick Succorso.
Mehr umfaßte er nicht. Garniert war er allerdings mit Codes, die Min nicht kannte und nicht entziffern konnte, anscheinend eine Art von Maschinensprache, die den Zweck hatte, Isaaks Computerprogramme zu reorientieren. Doch die zwölf Wörter Klartext genügten. Min Donners Blickfeld umflorte sich grau, Erbitterung erfüllte ihr Herz. Succorso war kein Dummkopf. Mit Sicherheit fand er heraus, was der Funkspruch bedeutete. Vielleicht kapierte er nicht, wieso Dios ihn ihm schickte, aber wie er ihn für sich nutzen konnte, würde ihm bald ersichtlich sein.
Morn Hyland hielt sich zusammen mit den beiden Männern an Bord der Posaune auf, die ihr das meiste Leid zugefügt hatten. Und den einzigen Schutz gegen sie bot ihr die Tatsache, daß ein von der VMKP programmierter Cyborg das Kommando über den Raumer hatte. Weil Thermopyle eben Thermopyle war, duldete er nicht, daß Succorso ihr etwas antat; und infolge seiner Unifikation ließ auch Thermopyle selbst sie in Ruhe.
Aber nach Eintreffen des Funkspruchs…
Dann konnte Succorso das Kommando übernehmen. Auf seine Weise war er kaum zuverlässiger als Milos Taverner. Verfügte er über ein Raumschiff wie die Posaune – und unterstand ihm zudem ein Cyborg –, mochte er sich durchaus als unaufhaltsam erweisen.
Morn Hyland wäre jedenfalls nicht dazu in der Lage.
Warden Dios, Warden, du hast uns verraten. Morn. Angus Thermopyle. Mich. Die Menschheit. Uns allen hast du einen Dolchstoß in den Rücken versetzt.
»Die Wahrheit ist«, sagte Dolph Ubikwe plötzlich, »daß ich zu Ihnen Vertrauen habe.« Er bemühte sich nicht, leise zu sprechen: ebensogut hätte er eine Rede ans ganze Kasino halten können. »Ihnen habe ich immer vertraut, und damit ist jetzt nicht einfach Schluß. Und momentan bedeutet Warden Dios’ persönliche Autorität mir ’n Scheiß. Er hat Hashi Lebwohl Söldner mieten und auf die eigenen Leute hetzen lassen. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll oder was hinter dem da steckt…« Er drosch die Hand auf den Bogen Papier. »Aber ich kann mir denken, wer der Anstifter ist. Nämlich Holt Fasner. Oder Cleatus Fane, der für den Drachen immer die Drecksarbeit erledigt. Also, es liegt bei Ihnen. Sie treffen die Entscheidung. Wir führen aus, was Sie anordnen. Und wir pfeifen auf die Konsequenzen.«
Min erwiderte seinen Blick, ihre Augen brannten, ihr glühten die Handflächen; sie umklammerte den Pistolengriff, als wäre er das einzige, das für sie noch einen Sinn ergab. Ihretwegen zeigte sich Dolph Ubikwe bereit, eine direkte Anweisung des VMKP-Polizeipräsidenten zu mißachten…
»Sie wissen«, antwortete sie leise – fast im Flüsterton –, »ich könnte Sie schon für diese Äußerungen vor Gericht bringen.«
Ein Grinsen entblößte Dolphs Zähne. »Ja, ich weiß. Aber Sie tun’s nicht. Sie sind keine solche Heuchlerin.«
Ach, wirklich nicht? Mit einem Mal schier überwältigt von Ekel und Überdruß, mußte sie die Zähne zusammenbeißen und die Faust um den Griff der Waffe krampfen, damit sie nicht aufbrauste und das Eintopfgericht quer über den Tisch schleuderte. Und was war sie dann? Was halfen ihr nun all die Jahre der Hingabe und Pflichttreue?
Warden Dios zwang sie zu verräterischem Verhalten. Zum Verrat an der Menschheit. Oder wenigstens Verrat an ihrem Diensteid.
Was verlangte er von ihr? Unterstellte er, daß die verläßliche Min Donner – so verläßlich, daß manche Leute sie seine ›Henkerin‹ nannten – seine Weisung blindlings ausführte? Oder glaubte er, hoffte er, erwartete er, daß ihr Festhalten an den Idealen, denen die VMKP vorgeblich diente, sie dazu bewog, ihm ungehorsam zu sein?
Wie sollte sie sich entscheiden können, wenn sie nicht wußte, was er wollte?
Wer war
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