Amnion 4: Chaos und Ordnung
viele Medikamente…«
Sie hob ihn von der Polsterliege. Weil er gewichtslos war, nahm sie ihn wie einen Säugling in die Arme. »Du hast mir schon geholfen.« Sie hielt ihn aus dem Weg, während Mikka sich auf die Liege bettete. »Und du wirst mir weiterhin behilflich sein. Ich habe genug Kat eingenommen, um vier Stunden lang zu schlafen.« Schon hatte der Effekt des Kats die Eindringlichkeit in ihrer Stimme verebben lassen. Binnen kurzem mußte auch ihr Bewußtsein umnachtet werden. »Und danach wirst du mir so hervorragend helfen, wie du’s kannst.«
Davies hatte das Gefühl, als könnte er in ihrer Umarmung versinken und nie mehr umkehren. Ausschließlich dank seines außergewöhnlichen endokrinischen Erbteils blieb er wach.
»Noch vier Minuten«, konstatierte Sib mit gepreßter Stimme. »Am besten verdrückt ihr euch schleunigst in eure Kabinen.«
»Und du auch«, antwortete Mikka. Sib und Ciro schnallten sie an. »Gib dem Computer ein, er soll Vorkehrungen gegen Hoch-G-Belastung treffen, und dann hau ab. Nimm Ciro mit. Es wird mit mir schon alles gutgehen.«
In einer Geste der Aufmunterung legte Vector seine unverletzte Hand auf Ciros Schulter. »Komm«, sagte er halblaut. »Ich fühle mich zu mies, um’s allein bis zur Kabine zu schaffen. Und ich muß jemanden haben, der mir beim Anschnallen in der Koje hilft.«
»Mikka…«, setzte Ciro an, als wollte er widersprechen, bei ihr bleiben. Aber sofort stieß er sich von der Liege ab, um Vector die Tür zu öffnen.
Morn folgte ihm, zog Davies mit sich.
Schon halb besinnungslos schwebten sie zu ihrer Kabine, aber fühlten sich dabei bleischwer. In ihrem Schwächezustand hatten sie das Empfinden, als wäre die Bordatmosphäre zähflüssig geworden, behinderte sie ihre Bewegungen. Während des Aufenthalts im Krankenrevier schien der Hauptkorridor wieder länger geworden zu sein. Er sah aus, als erstreckte er sich vor ihnen bis in unermeßliche Fernen, ähnlich wie ein Flur in einem Alptraum. Davies vermochte kaum noch die Lider offenzuhalten. Aber noch widerstand er der Betäubungswirkung der Medikamente. Morn war in üblerer Verfassung als er: stärker erschöpft, im Gegensatz zu ihm nicht für permanente Krisensituationen geboren. Falls sie jetzt einschliefen, fänden sie beide den Tod.
Morn hielt durch, bis sie endlich zur Kabine gelangten, sie die Tür geöffnet, Davies hineingeschoben hatte. Danach jedoch erschlaffte sie, überwältigten sie Kat und Ausgelaugtheit.
Durch einen trüben, dichten Nebel der Schlaftrunkenheit bugsierte Davies sie in ihre Koje, hüllte sie in den Anti-G-Kokon und schnallte sie an. Dann gab er sich, während sein Geist in gieriger Dunkelheit zerfaserte, alle Mühe, um das gleiche für sich zu leisten.
Er schaffte es gerade noch, die Verschlüsse zum Einrasten zu bringen, ehe er infolge der Entkräftung und der Medikamente in tiefen Schlaf sank.
ANGUS
Es gab keine Worte. Keinerlei Worte gab es mehr. Angus existierte in einer Welt, aus der jegliche Sprache entfernt worden war, die man jeder Bedeutung beraubt hatte, der jeder Außenkontakt ermangelte. Vom VMKP-Polizeikreuzer Rächer war ein Funkspruch eingetroffen, er hatte ihn gelesen; und da bekam sein Gemüt den letzten Sprung, erlitt sein Geist den endgültigen Knacks, schwamm nur noch im wüstesten Gefühlsmatsch, in Fluchtgedanken und unheilschwangerer Empörung, gleich was er tat, wohin er sich wandte.
Wurden Dios an Isaak: Prioritätscode Gabriel.
Dios hatte ihn seiner Mutter zurückgegeben. Angus’ Schädelinneres hatte sich in sein Kinderbett verwandelt, in dem er wehrlos Qualen ausstehen mußte. Wie ein Kind, das keinen anderen Ausweg wußte, suchte er Zuflucht in sich selbst, flüchtete er sich in Dunkelheit und Todessehnsucht; lechzte er nach der großen Leere, wo unerträglicher Schmerz sein Ende fand.
Zeigen Sie diese Nachricht Nick Succorso.
Doch er war kein Kind mehr: er war ein erwachsener Mann, ein Cyborg zudem, und seine Zonenimplantate gestatteten ihm nichts von allem. Den Tod durfte er nicht wählen, Wahnsinn konnte ihn nicht retten. Auf der Brücke allein, zur Gesellschaft nur Nick Succorso und das Verhängnis, lenkte er am Platz des Ersten Offiziers die Posaune, während er gleichzeitig im Kinderbett lag und ein Winseln von sich gab, das durch seine zusammengebissenen Zähne niemand hören konnte.
Während er das Raumschiff steuerte – das jetzt nicht mehr seines war, es nie wieder werden sollte –, beobachtete er, daß Nick sich
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