Amnion 4: Chaos und Ordnung
sie Porsons Aussage keine Sekunde lang angezweifelt hatte. Die Instrumente waren alle außer Funktion, die Rächer war bugwärts in einem Winkel von fast dreißig Grad blind geworden.
Geringfügiges Gewicht senkte Min tiefer in ihre Stiefel, während der Steuermann die Fluglage des Raumschiffs in Relation zum Kurs veränderte.
Min ballte die Fäuste, um das altvertraute Kribbeln ihrer Handteller in den Griff zu bekommen, und wartete auf Kapitän Ubikwe.
Dolph erschien kaum fünf Minuten später als Min auf der Brücke. Er schwang sich den Niedergang herab, als drängte er Furcht und Schwäche mit den Schultern zur Seite, schwebte schnurstracks auf das Kommandopult zu, schob sich in den G-Andrucksessel und schloß die Gurte. »Danke, Direktorin«, sagte er zu Min. Seine Stimme harte die Kraft und Sicherheit einer Dampframme. »Entschuldigen Sie, daß Sie warten mußten. Ich habe mir die Zeit genommen, mit Hargin zu reden. Unten spielt sich das moralische Äquivalent eines Infernos ab. Wie ist die Situation hier?«
Min sah Bydell an und beschloß, es darauf ankommen zu lassen. »Die Datensysteme-Offizierin wollte gerade Meldung erstatten«, gab sie seelenruhig zur Antwort.
»Jawohl, Sir«, sagte die Frau, als ob sie nach Luft schnappte.
»Gesehen habe ich nicht, was sich ereignet hat«, erklärte sie. »Jede Vorwarnung ist ausgeblieben… Oder wenigstens ist nichts geschehen, das wir als warnendes Vorzeichen erkannt hätten. Aber ich habe einige Simulationen ausprobiert und versucht, ein passendes Szenario zu erarbeiten. Daraus sind folgende Erkenntnisse resultiert.« In manchen Abschnitten des Hydrauliksystems sind Haarrisse entstanden, hatte der Bootsmann, als Min an Bord gegangen war, ihr mitgeteilt. Wir hatten bisher keine Gelegenheit, um die Risse zu beheben. Allerdings hatte sie darüber schon Bescheid gewußt: die Einsatzberichte der Rächer waren ihr bekannt gewesen. Und sie hatte an den vorgefundenen Verhältnissen nichts ändern können.
Jetzt erfuhr sie, was ihr Entschluß, den Polizeikreuzer trotz seines mitgenommenen Zustands für ihren Flug abzukommandieren, die Besatzung kostete.
Nach Bydells Rekonstruktion hatte sich das Verhängnis folgendermaßen angebahnt. Säure aus einer Hydraulikleitung hatte sich mit Öl aus einer anderen Hydraulikleitung vermischt. Natürlich hätte so ein Vorgang unmöglich sein müssen; derlei Leitungen verliefen durch separate, geschlossene Isolierrohre. Aber wenn Rohre platzen konnten, galt das gleiche für Isolierrohre. Während die Rächer unter Null-G-Bedingungen flog, ohne Eigenrotation oder Navigationsschub, mußten die ausgetretenen Flüssigkeiten sich gesammelt haben, bis sie ein beachtliches Quantum bildeten. Anschließend kreuzte und manövrierte das Raumschiff durch das Massif-5-System, wich Hunderten von Hindernissen aus, um auf der Fährte der Posaune zu bleiben. Säure-Öl-Tümpel schwappten und schwallten nach allen Richtungen, bis sie irgendwo durch andere Risse sickerten. Und durch sie rann die Brühe zu anderen Isolierrohren, drang in weitere Risse.
Unterdessen beschäftigte sich die Besatzung des Polizeikreuzers noch mit der Reparatur der wichtigen, aber defekten Sensorgruppe. Die externe Wiederherstellung der Instrumente hatte man beendet gehabt; die interne Neuverkabelung dagegen war noch durchzuführen gewesen. Zwecks Erledigung dieser Arbeit hatten Reparaturtechniker wiederholt Zugang in bestimmte Bereiche innerhalb der baulichen Struktur des Raumers haben müssen. Unglücklicherweise klemmte die Wartungsluke des Schotts, hinter dem es die Tätigkeit zu verrichten galt. Manchmal brauchten die Servomotoren drei oder vier Sekunden, um hinlänglichen Druck zum Bewegen der Luke aufzubauen.
Allerdings entstand bei der Druckerzeugung auch Wärme, die sich in dem Maße, wie die Funktionstüchtigkeit des Lukenmechanismus nachließ, zu Hitze steigerte.
Irgendwie waren rund um die überanspruchten Hydrauliken erhebliche Mengen von Saure und Öl zusammengeflossen. Als das Gemisch Feuer fing, explodierte es mit derartiger Gewalt, daß das Schott barst, zwei Techniker getötet wurden und zwei Verbrennungen davontrugen, und es einen Brand entfachte, den zu löschen der durch Nullschwerkraft und Manövrierschub behinderten Besatzung der Rächer die größten Schwierigkeiten bereitete.
Der Zwischenfall hatte den gänzlichen Fortfall der reparaturbedürftigen Sensorgruppe bewirkt.
Auch Kapitän Ubikwe litt unter dem Streß; man merkte es an einem seiner
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