Amnion 4: Chaos und Ordnung
Zumutungen, die Morn von Nicks Seite erduldet hatte. Er knurrte durch die Zähne und sprang an der Kommandokonsole vorbei auf Nick zu.
Morn rief Davies’ Namen. Mikka folgte ihm einen Schritt weit, blieb dann jedoch stehen. Ciro huschte beiseite. Sib schwang sich aus dem Anti-G-Sessel, versuchte Nick im Schußfeld zu behalten.
Davies zeichnete sich weder durch Angus’ Massigkeit aus, noch verfügte er über seine Erfahrung, doch er hatte Angus’ Körperkräfte geerbt. Die Fäuste in Nicks Bordmontur gekrallt, riß er Nick von den Füßen, schmetterte ihn gegen das Schott. »Bist du fertig?« fauchte er ihm aus wenigen Zentimetern Abstand ins Gesicht.
Nick leistete keine Gegenwehr. Er machte sich kaum die Mühe, Davies anzublicken. Auf seinen Wangen jedoch strafften sich die Narben, als grinste er ihn voller offenem Hohn an. »Bist du fertig?« fragte er leise.
»Davies, laß ihn in Ruhe!« forderte Morn. »Es ist mir gleichgültig, was er quatscht. Er kann mich nicht beleidigen.«
Die Neurotransmitter knatterten wie ein Feuerwerk an Davies’ Synapsen entlang, glichen einer gierigen Feuersbrunst. An der Polizeiakademie hatte Morn eine Nahkampfausbildung durchlaufen. Mit einem blitzartigen Rammstoß seiner Stirn könnte er Nicks Schädel gegen das Schott schmettern, ihm die Nase brechen, daß sich Knochensplitter ins Hirn bohrten.
Aber Nick wehrte sich nicht. Morn hatte während der Ausbildung auch gelernt, auf passive oder wehrlose Opponenten mit angemessener Zurückhaltung zu reagieren; diese Einstellung war auf ihren Sohn übergegangen. Davies vermochte sich den Kopfstoß, der Nicks Gesicht zermalmen und ihn vielleicht töten konnte, zwar vorzustellen; mehr allerdings gestatteten die Überzeugungen und Verhaltensmuster seiner Mutter ihm nicht.
»Da hast du aber Glück«, brummelte er, ließ Nick los und wich zurück. »Mich beleidigt schon seine bloße Anwesenheit.«
Für einen Moment hatte er das Gefühl, als wäre ein derartiges Maß an Selbstbeherrschung für ihn zuviel. Jedem Nerv seines Körpers waren beim Entstehen Leidenschaft, Wut und Gewalttätigkeit angezüchtet worden; er konnte nicht einfach von Nick ablassen und ihm den Rücken kehren.
Er fuhr herum wie ein Faustschlag. »Du widerlicher Scheißkerl«, tobte er, »du hast ihr doch sowieso nie ’ne Chance gegeben! Dir war Ehrlichkeit doch gar nicht wichtig, du hast dich ’n Dreck darum geschert, ob sie ehrlich ist. Du magst es nur nicht, ’n gewöhnlicher Sterblicher zu sein. Du wolltest von ihr ’ne Gelegenheit, dich wie Gott zu fühlen!«
Eine Art von spasmischer Zuckung verzerrte Nicks Visage, aber er verzichtete auf eine Entgegnung.
Davies richtete seinen Ärger gegen Morn. »Nun bist du an der Reihe«, maulte er, ausschließlich gemäßigt durch ihre Rücksichtnahme, den Teil Morns, der ihm Zügel anlegte. »Du hast alle gefragt. Nun sag uns, was du willst.«
Tief in Morns Augen regten sich Schatten des Wehs. Für einen Moment stand in ihrer Miene nichts als Erschöpfung, ihre Schultern sanken herab, als wären Hype und Koffein zuwenig, um ihre Selbstsicherheit zu stützen. Davies konnte ihr ansehen, daß sie ihm, soviel sie wußte, die Wahrheit gesagt hatte: inzwischen fehlte Nick alle Macht, um sie noch zu kränken. Mit ihrem Sohn jedoch verhielt es sich anders. Er konnte ihr Schmerz zufügen, der sie bis ins Innerste traf. »So einfach ist es nicht«, antwortete sie mit schwacher Stimme. »Was ich möchte, ist nicht das, was wirklich zählt. Wir dürfen die übergeordneten Belange nicht aus…«
»Das ist mein Raumschiff«, schnarrte Angus von der Konnexblende herab. Er trat mit der gleichen Barschheit wie Davies auf; allerdings war sie bei ihm tieferen, eingefleischteren Ursprungs. »Ihr seid nur an Bord, weil ich es dulde. Ihr untersteht ausnahmslos meinem Befehl. Interessiert euch eigentlich nicht, was ich will?«
Davies ballte die Fäuste an den Seiten und verharrte bewegungslos, als wäre er hin- und hergerissen zwischen seinem Verlangen, Angus’ Ankunft zu begrüßen, und Morns Drang, Angus an die Kehle zu springen.
DAVIES
Morn war in ihrem Sessel erstarrt. Mikka gab einen unterdrückten Fluch von sich; aus Bemutterungsinstinkt streckte sie eine Hand nach ihrem Bruder aus, um ihn an sich zu ziehen, zu beschützen. Vector zuckte die Achseln, deaktivierte die Auxiliarkommandokonsole und schob sie zurück in ihr ins Technikkontrollpult integriertes Fach. Sib erschrak; zuerst riß er die Pistole herum, wollte
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