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Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition)

Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition)

Titel: Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Teege , Nikola Sellmair
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war.
    Seit einiger Zeit schon hatte sich mein Blick auf Israel verändert: Die anfängliche Euphorie war tiefer Skepsis gewichen. Ich saß in einem hochgerüsteten Land, umgeben von feindlichen Nachbarn. Mir war bewusst, wie bedroht diese Nation war, wie unlösbar der Konflikt, in den sie verstrickt war. Wie einseitig der Blick auf die Welt wurde, wenn man hier lebte.
     
    Ich kann nicht mehr genau sagen, wann die Depressionen begannen. Ich weiß nur noch, dass ich irgendwann allein durch Tel Aviv lief. Nicht mehr glücklich und aufgeschlossen, sondern traurig und in mich gekehrt. Ich empfand keine Freude, keine Neugier. Es war, als hätte sich eine Wand zwischen mich und meine Umwelt geschoben.
    Wenn ich einatmete, bekam ich zu wenig Luft. Es fühlte sich an, als würde mir jemand die Kehle zudrücken.
    Ich zog mich immer mehr zurück, wollte keine Menschen um mich haben. Das Haus verließ ich nur noch, wenn es gar nicht anders ging, zum Arbeiten oder zum Lernen in der Bibliothek. Mit Noa und Anat sprach ich nicht über meine Sorgen. Ich hätte ihnen meinen Zustand nicht richtig beschreiben können.
    Was war bloß los mit mir? Objektiv betrachtet fand ich keine Ursachen für meine Traurigkeit. Unter Heimweh litt ich nicht: Ich bekam regelmäßig Besuch von Freunden und meiner Adoptivfamilie. Auch mein Studium war die richtige Wahl gewesen: Endlich beschäftigte ich mich mit etwas, das mich wirklich interessierte.
    So intensiv ich auch nachdachte: Mein Zustand ließ sich nicht erklären. Pausenlos machte ich mir Vorwürfe. Ich hatte gesehen, wie die Menschen in den palästinensischen Flüchtlingslagern untergebracht waren. Ich führte dagegen ein schönes Leben, hatte alles, was ich brauchte. Warum konnte ich das nicht schätzen? Warum fiel mir alles so schwer?
    Vielleicht, dachte ich, waren die Gründe für meine Traurigkeit ja auch nicht im Hier und Jetzt zu finden. Vielleicht lagen sie länger zurück?
    Kaum schaffte ich es, mich auf meine Abschlussarbeiten zu konzentrieren. Ich lernte und lernte, doch mein Kopf schien immer leerer zu werden.
    *
    Ihre Adoptivfamilie besuchte Jennifer zu dieser Zeit in Israel. Ihr Bruder Matthias erschrak, als er sie sah: «Jenny war völlig erschöpft. Ich fand bedenklich, wie sie lebte: Sie hat sich mit einer Vehemenz in ihr Studium geschmissen, mit einer übertriebenen Detailversessenheit – als wollte sie uns damit etwas beweisen.» Matthias schien es, als wollte Jennifer ihren Adoptiveltern nun endlich zeigen, was sie zu leisten imstande war: «Als wäre sie nur etwas wert, wenn sie die beste Leistung bringt.»
    Auch Noa und Anat merkten, dass es Jennifer nicht gutging, aber sie wollte sich nicht helfen lassen. Noa sagt: «So eng unsere Freundschaft war: Ihre Probleme machte Jenny meist mit sich aus.»
    *
    Irgendwie schaffte ich die Abschlussprüfungen. Danach lud ich Noa, Anat und ein paar andere Freunde zum Essen ein. Am nächsten Morgen verließ ich das Land.
    Ich ging zurück nach München und begann dort eine Therapie. Nebenbei arbeitete ich in der Redaktion des Bayerischen Fernsehens. Kurz nach meinem 27 . Geburtstag brach ich dort zusammen: Während eines Gesprächs mit meiner Chefin fing ich an zu weinen und konnte nicht mehr aufhören.
    Danach lag ich tagelang im Bett, die Decke über den Kopf gezogen. Eine Freundin rief an, ich nahm den Hörer ab und bat sie, sie solle sich in einem halben Jahr wieder melden. Ich wollte niemanden sehen, nur im Bett liegen und schlafen.
    Menschen, die noch nie mit Depressionen zu tun hatten, können sich nicht vorstellen, was es bedeutet, depressiv zu sein. Sie nehmen vielleicht an, Depressionen ähnelten einem gewöhnlichen Stimmungstief: Eine Zeitlang ist man «nicht gut drauf», aber irgendwann bessert sich der Zustand.
    Mir ging es nicht besser. Ich fiel in ein tiefes Loch. Die Atemnot fühlte sich immer bedrohlicher an, ich rang nach Luft, glaubte zu ersticken. In der schlimmsten Phase wäre ich am liebsten tot gewesen. Ich dachte nie ernsthaft darüber nach, mir das Leben zu nehmen, aber ich hoffte, ich würde über die Straße gehen, ein Auto würde mich erfassen, und alles wäre vorbei.
    Ich hatte mich für einen weiterführenden Studiengang an der «London School of Economics» beworben und auch einen Platz bekommen, aber in meiner Verfassung konnte ich dort nicht antreten. Statt in London zu studieren, ging ich dreimal die Woche zur Therapie.
    Die erste Therapieform, die ich wählte, war die klassische Psychoanalyse. Ich

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