Amors Glücksfall (German Edition)
Stella herumzusitzen. Es ist eine Mischung aus Scham wegen der eigenen Vorurteile und der Freude, endlich wieder angezogen zu sein. Oder wie jetzt: endlich mit der Aussicht auf ein ordentliches Abendessen inklusive Weißbier, auf das ich seit einer gefühlten Ewigkeit Lust habe. Zwei Sixpacks nehme ich mir, wenn ich schon sonst auf dem Trockenen sitze und wackle hinter dem Einkaufswagen her zur Kasse.
„Sammeln Sie Treueherzen?“, fragt mich der junge Angestellte und reicht einen Streifen mit den bunten Aufklebern in Herzform über das Rollband. „Nein“, denke ich. Ich habe weder mit Herzen noch mit der Treue viel am Hut. Andererseits denke ich an Amor, erinnere mich an meine eigene Mission und meine Pläne für heute Abend.
„Ja, danke“, sage ich. Meiersherzen sind kein Ersatz für Sex. So wie im Übrigen nichts ein Ersatz für Sex sein kann. Ich lege den Herz-Klebestreifen später zu meinen anderen Hinterlassenschaften für Lorenzo, räume seinen Kühlschrank ein und widme mich wichtigeren Dingen. Speeddating-Vorbereitung, Einlesen in meinen Siegeszug am morgigen Tag, Kassler mit Sauerkraut und Weißbier. Nichts kann ein Ersatz sein, wenn man etwas wirklich vermisst! Dabei war es bis vor ein paar Stunden genau das, was mir fehlte: Essen, Weißbier und eine bessere Zukunftsaussicht. Aber so ändern sich manchmal die Prioritäten. Leider. Ich schlinge das Essen hinunter und kippe das Bier hinterher. Wirklich schmecken will mir weder das eine noch das andere. Und dass ich jetzt nicht verhungern werde, ist mir nur noch geringfügig ein Trost.
Ich klappe nacheinander die Mappen auf. Es sind zwanzig Stück an der Zahl. Zehn Männer, zehn Frauen. Alles Singles, die es nicht mehr sein wollen. Sechs von ihnen gehören zu Karims frischem Kundenstamm, der Rest teilt sich in Mias und Claudias Kunden auf. Ich erkenne die einzelnen Kundenberater an ihren Farben: Blau für Mia, Rot für Karim und Gelb für Claudia . Ich sehe mir die Querverweise an. In fast jeder Mappe ist ein Hinweis auf einen anderen der Beteiligten zu finden. Ich sehe es an den Post-Its, die wiederum in unterschiedlichen Farbkombinationen die zusammenhängenden Mappen markieren. Dieses System ist von Stella, die für Veranstaltungen zuständig ist. Beziehungsweise war. Einmal hat sie erfolglos versucht, es mir näherzubringen. Damals musste ich es nicht verstehen, also habe ich sie erst belächelt und dann ganz abgewimmelt. Jetzt stelle ich fest, dass es besser gewesen wäre, sich Zeit dafür zu nehmen. Ich versuche mich hineinzudenken. Im Prinzip ist es logisch, was sie sich da ausgedacht hat. Wenn nicht der bunte Papiersalat wäre, könnte die Idee sogar von mir selbst stammen.
Ich atme durch, nehme ein en Schluck Bier und schmunzle. Jetzt liegt es an mir, die Pärchen mit den besten Voraussetzungen herauszusuchen, Amor zu spielen und sie zusammenzubringen. Ich habe vorsichtshalber zehn Blumensträuße bei Frau Lippers geordert. Nicht, weil ich größenwahnsinnig bin oder mein Selbstvertrauen nach der zweiwöchigen Pause Kapriolen schlägt. Es ist nur so, dass die Zeit mir so tief im Nacken sitzt, dass ich alle Möglichkeiten nutzen möchte. Genau genommen sogar nutzen muss. Ich habe zwei Wochen vertrödelt, bis ich darauf gestoßen bin, wie die Sache bisher funktioniert haben könnte. Also muss ich mich jetzt beeilen.
Sollte Stella Recht behalten, könnte es reichen, wenn ich anwesend bin, während die Frauen ihre Blumen kriegen. So etwas wie bei Asta möchte ich vermeiden, auch wenn ich wieder auf Masse setze. Diesmal sortiere ich vor und informiere mich, statt blind um mich zu schießen, in der Hoffnung, einen Treffer zu landen. Ich bin pragmatisch genug, um nicht davon auszugehen, dass jede meiner Kombinationen richtig sein wird. Doch ich hoffe, meine bisherige Quote zu brechen und sehe mir langsam die Fotos an.
Es ist alles dabei: jung, alt, hässlich oder auch ganz schön ansehn lich. Bei manchen bin ich mir nicht sicher, ob sie es wirklich ernst meinen, besinne mich allerdings darauf, dass sie Geld dafür zahlen, um dabei sein zu dürfen. Also suchen sie auf jeden Fall etwas. An den Gesichtern ist es allerdings nicht zu erkennen, wie ihre Absichten sind und wer es mit wem besser kann als mit den anderen. Wie kann Lorenzo es also bitte wissen? Vielleicht bin ich ja grobmaschiger als er, weil es mir einfach nicht gelingen will, zwischen den Falten, schlecht rasierten Wangen und in den koketten Posen etwas anderes zu sehen, als eben
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