Amy on the summer road
dass ich erst mal gehofft hatte«, sagte Roger und suchte sorgfältig nach Worten, »wir würden wieder zusammenkommen.« Kaum hatte er das ausgesprochen, war mir schlagartig klar, dass das exakt die Antwort war, die ich nicht hören wollte. Und das – zusammen mit dem, was Lucien gesagt hatte – machte mir wiederum deutlich, dass ich irgendwann unmerklich angefangen haben musste, Roger in einem anderen Licht zu sehen.
»Aha«, sagte ich und versuchte, so unbeteiligt wie möglich zu klingen.
»Aber dann – ich weiß auch nicht«, sagte er und wechselte wieder die Fahrspur, obwohl es nicht den geringsten Grund dafür gab. »Eigentlich hatte ich in den letzten Tagen gar nicht mehr darüber nachgedacht. Und als sie dann schließlich vor mir stand, war es, als ob sie auch irgendwie anders aussah.«
Ich hatte Hadley ja gesehen, und das konnte ich mir nun schwer vorstellen. »Ah, tatsächlich?«
»Ich weiß, das klingt komisch«, sagte er mit einem unsicheren Lächeln. »Aber es war, als ob ich jemanden wiedersehe, den ich vor langer Zeit mal gekannt habe. Und während sie redete, musste ich immerzu an Dinge denken, die ich schon vergessen hatte. Zum Beispiel, wie sie meine Musik hasste und wie sie mich immer stundenlang warten ließ, bis sie mal zurückrief, und wie sie sich nie mit meinen Freunden verstanden hat. Und ... ich weiß nicht, ich musste auch immer wieder daran denken, wie sie mit mir Schluss gemacht hat. Und dann wollte ich plötzlich gar nicht mehr wissen, warum es mit uns vorbei war. Ich wusste einfach nur, dass es vorbei war. Und zwar schon seit einer ganzen Weile.«
»Wow.« Ich erinnerte mich daran, wie sie nach dem Gespräch ausgesehen hatte. »Davon war sie sicher nicht übermäßig begeistert, nehme ich an?«
»Allerdings«, sagte Roger. »Davon kannst du ausgehen.«
»Und was jetzt?«, fragte ich.
»Weiß nicht«, sagte er und sah mich an. »Was jetzt?«
Ich erwiderte seinen Blick und mein Herz fing an, ein kleines bisschen schneller zu schlagen. Ich war mir ziemlich sicher, dass er damit unsere Fahrt meinte. Wir hatten beide unsere Fahrt gemeint. Oder? Ich sah aus dem Fenster. Im Gegensatz zu vorher war er jetzt richtig Single. Plötzlich war mir sehr bewusst, dass ich am Morgen meine Haare eilig und ohne sie zu kämmen, zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte. »Keine Ahnung«, sagte ich und sah wieder
zu ihm. Unsere Blicke trafen sich länger als nur einen Moment, ehe er wieder auf die Straße schaute.
»Graceland also?«, fragte er, ohne den Kopf zu wenden.
»Graceland«, bestätigte ich.
Roger schenkte mir ein kurzes Lächeln. Dann gab er Gas, setzte den Tempomat außer Kraft und beschleunigte auf 75.
Sobald man Memphis erreicht, kann man Graceland gar nicht mehr verfehlen – es hat eine eigene Highway-Abfahrt. Und als wir von der Interstate herunter waren, gab es keinen Zweifel mehr, dass wir uns in Elvis-Land befanden. Ein »Days Inn«-Hotel warb mit einem Swimmingpool in Gitarrenform und Elvis-Filmen rund um die Uhr. Vor uns fuhren zwei rosafarbene Cadillacs nebeneinanderher, was echt schräg aussah. Und bevor wir zum Graceland-Parkplatz abbogen, sahen wir das Heartbreak-Hotel, das mit Schnäppchenpreisen warb. Wir bezahlten zehn Dollar und fuhren auf den Parkplatz, doch damit waren wir noch keineswegs in Graceland. Die Villa, wie sie auf meinem Ticket hieß, befand sich gegenüber, auf der anderen Seite von diesem Parkplatz, wo auch Elvis’ Privatflugzeuge standen und es drei Souvenirshops und ein Restaurant gab.
Wir machten die Führung durch die Villa mit. Zum VIP-Paket gehörte der Eintritt zum »Jumpsuit Room« mit den berühmten Overalls, den ich nun wirklich nicht unbedingt brauchte. Wir bekamen unsere Tickets und mussten auf den Bus warten. Wir stellten uns hinter einem Paar aus Deutschland in die Warteschlange. Nach uns kam ein Grüppchen, das offenbar aus drei Familiengenerationen bestand: Großvater,
Vater und Sohn. Während sich die Schlange vorwärtsbewegte, wurde allen Wartenden angeboten, sich vor einem Graceland-Hintergrund ablichten zu lassen. Es schien, als ob das Pflicht war – denn die Fotografin erklärte immer wieder mit müder Stimme, dass man die Fotos ja nicht zu kaufen brauche, wenn man sie nicht wolle. Als Roger und ich an der Reihe waren, standen wir nebeneinander und fühlten uns ein bisschen unwohl. »Näher zusammen«, wies uns die Fotodame mit einem matten Seufzen an und hob die Kamera. Roger kam ein Stück näher an mich
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