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An einem Tag im Januar

An einem Tag im Januar

Titel: An einem Tag im Januar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Coake
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erschrecken.«
    Jacob nickte blinzelnd.
    »Darf ich dein Zimmer anschauen? Deine Mutter sagt, du hast jede Menge Bilder.«
    »Äh«, sagte Jacob. »Klar.« Er zeigte hinter sich. »Es ist das da.«
    Im Zimmer herrschte ein furchtbarer Verhau, Bücher und Kleiderhaufen in wildem Durcheinander. Unter einer Schreibtischlampe, die an einen kleinen Zeichentisch gleich am Fuß des Bettes geklemmt war, lag ein Stapel Comics aufgefächert. An der gegenüberliegenden Wand standen eine Kinderkommode und mehrere tiefe Bücherregale mit länglichen Kartons voller Comics. Die hohen Wände waren über und über mit Postern und Zeichnungen von Superhelden bedeckt – direkt überm Bett hing ein querformatiges Poster von Batman, der auf einem Dachfirst kauerte, sein Umhang hinter ihm aufgebauscht wie eine Sturmwolke.
    Es roch beißend nach kleinem Jungen – ungewaschenen Kleidern, Schmutz, altem, verkrustetem Zuckerzeug.
    »Sie können den Schreibtischstuhl haben«, sagte Jacob. Er selbst ließ sich mit einem Plumps aufs Bett fallen, so dass ihm die Jeans über die Hüften rutschte und der Gummizug seiner durchgescheuerten Unterhose hervorsah.
    Bei seiner Landung entpuppte sich das orange-weiße Kissen, das Mark aus den Augenwinkeln wahrgenommen hatte, als eine riesige gescheckte Katze, die sich zwischen Jacobs zerwühlten Kopfkissen in Sicherheit brachte. Die Augen der Katze glühten wie die von Batman.
    »Das ist ja ein Mordsvieh«, sagte Mark und setzte sich hin.
    »Ach, das ist Bigwig. Na, Katzi-Katz?« Jacob streckte die Hand aus und schnalzte leise mit der Zunge. Sofort erhob sich der Kater und stelzte schnurrend auf Jacob zu. »Ich hab ihn als ganz kleines Minikätzchen bekommen.«
    »Bigwig?«, wiederholte Mark. »Wie der aus Unten am Fluss ?«
    Jacob lächelte, aber nur mit einem Mundwinkel, und streichelte dem Kater die vibrierende Kehle. »Mmhmm«, sagte er. »Das ist so ziemlich mein Lieblingsbuch.«
    »Meins auch«, sagte Mark. »Ich hab es sogar Brendan vorgelesen, von vorn bis hinten.«
    »Echt?« Jacob dachte nach und fragte dann: »Und mochte er es?«
    Brendan hatte das Buch geliebt – Mark zweifelte sogar, ob Brendan irgendetwas im wirklichen Leben so sehr geliebt hatte wie Hazel und Fiver und Bigwig. Darin ähnelte er seinem Vater.
    Mark hatte vergessen gehabt, dass am Ende des Buchs Gott erschien. Das hatte er Brendan natürlich erklären müssen – was mit Hazel passiert war und wer das fremde Kaninchen war, das kam, um ihn zu holen.
    Er hatte gesagt: Denk an die Kaninchen, die Hazel zurücklässt und die alle froh und gesund und munter sind. Das tröstet ihn. Am Schluss ist Hazel glücklich, auch wenn wir traurig sind.
    »Er mochte es sehr«, sagte Mark.
    Sie schwiegen. Jacob zupfte an einer Schorfkruste an seinem Handgelenk herum. Er strahlte Unruhe aus. Nein – Angst.
    »Jacob«, sagte Mark, »in ein paar Minuten kommen die Weills.«
    »Ich weiß«, sagte Jacob.
    »Deine Mutter sagt, dass du heute ein bisschen nervös warst.«
    Jacob zuckte die Achseln. »Keine Ahnung.«
    »Hast du … hast du über das nachgedacht, was ich dich vorgestern gefragt habe?«
    Jacob nickte, so kurz, dass Mark es kaum sehen konnte.
    »Gibt es irgendwas, das du mir sagen möchtest?«
    Jacob drückte das Kinn an die Brust, schüttelte den Kopf.
    Oh Brendan, er lügt, er lügt. Schau ihn an .
    Jacob sagte: »Ich hab Ihnen doch schon alles erzählt.«
    »Und dabei bleibst du? Obwohl wir gleich mit der Zeremonie anfangen?«
    Wieder das winzige Nicken.
    Mark rückte seinen Stuhl näher heran. »Jacob. Kann ich dir was beichten?«
    »Was?«
    »Weißt du, dass ich ein Lügner bin?«
    Jacob blinzelte, mit diesem störrischen Unverständnis im Blick, das Mark noch von Brendan her kannte. Erwachsene hatten keine Fehler zu haben. Es ergab keinen Sinn .
    »Es stimmt«, sagte Mark. »Früher nicht, aber seit Brendan tot ist, lüge ich andauernd.«
    Wie einfach es klang, wenn er es so sagte. Wie vernichtend.
    »Wegen was?«, fragte Jacob.
    »Alles Mögliche«, sagte Mark. »Aber hauptsächlich lüge ich, damit die Leute mich mögen. Wenn ich was sage, was den anderen gefällt, sag ich es immer wieder. Weil ich Angst habe, sonst mögen sie mich vielleicht nicht, und dann bin ich allein.«
    »Oh«, sagte Jacob. Luft, die aus einem geplatzten Reifen entwich.
    »Das Schlimmste dabei«, fuhr Mark fort, »das Schlimmste ist, wenn eine Lüge zur anderen führt. Ich erzähle eine, und dann muss ich eine zweite erzählen, damit die erste nicht

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