Ana Veloso
ebenfalls zum Essen, Senhor Castro? Vita, ich kann Senhor
Castro bis dahin deiner Obhut überlassen, nicht wahr?«
Was hätte sie in dieser Situation tun können? Es
blieb ihr nichts anderes übrig, als gute Miene zum bösen Spiel zu machen. »Aber
ja, Pai.«
Die Tür schloss sich hinter den beiden Männern.
Plötzlich war der Raum erfüllt von bleierner Stille. Vitória sah León an, der
sein Glas schwenkte und fasziniert die Bewegung des Portweins verfolgte. Sie
wagte nicht, zuerst zu sprechen. Sie zupfte sich am Ohrläppchen und hüstelte.
Er sah auf.
»Bist du nervös, Sinhazinha?«
»Warum sollte ich das sein?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht macht meine
Gegenwart dir zu schaffen.«
»Rede nicht so einen Unsinn.«
»Freust du dich nicht, mich wiederzusehen, nach
all dieser Zeit?«
»Bitte!«
»Also freust du dich nicht? Schade, und ich
hatte mir eingebildet, du hättest dich vorhin schnell zurechtgemacht, um mir zu
gefallen.«
Vitória lief rot an. Es hatte keinen Zweck zu
leugnen.
»Und, gefalle ich dir?« Kaum dass Vitória
sie ausgesprochen hatte, wollte sie ihre dumme Frage zurücknehmen, aus der doch
nur das Verlangen sprach, Komplimente von ihm zu bekommen. »Sinhazinha, was für
eine törichte Frage!«
»Weshalb bist du gekommen?«
»Das hast du doch gehört. Ich habe dem armen
Senhor Amado in einer Notlage geholfen, mehr nicht.«
»Ach, und wohin wolltest du wirklich?«
»Ich wollte meiner Liebsten einen Besuch
abstatten.«
»Oh, lass dich nicht aufhalten. Du weißt, wo die
Tür ist. Ich denke, beim Mittagessen werden wir uns auch ohne deine
Gesellschaft viel zu erzählen haben.«
»Aber dann wirst du nie erfahren, was mich wirklich
hierher geführt hat. Und das wüsstest du gern, nicht wahr?«
Natürlich wüsste sie das gern! Sie brannte vor
Neugier darauf, was León hier zu suchen hatte. Aber sie hatte inzwischen
gelernt, ihre Neugier zu bezwingen. Außer dem ersten hatte sie keinen seiner
Briefe je gelesen, sie hatte sie alle ins Herdfeuer geworfen, obwohl sie jeden
Einzelnen sehnsüchtig erwartet hatte und es ihr jedes Mal das Herz brach, wenn
sie beobachtete, wie die Flammen das Papier verzehrten. Sie hob herablassend
die Augenbrauen und beschäftigte sich konzentriert mit dem Ärmel ihres Kleides,
von dem sie einen imaginären Fussel abzupfte.
»Warum siehst du mich nicht an?«
»Ich finde deinen Anblick nicht so
atemberaubend, wie du zu glauben scheinst.«
»Ich werde deine Neugier befriedigen, Sinhazinha«,
sagte er und fügte flüsternd hinzu: »Und nicht nur die.«
»Das Einzige, was du befriedigen darfst, ist
mein unbändiges Verlangen, dich nie wieder sehen zu müssen.«
»Dieser Wunsch ist der Einzige, den ich dir
nicht erfüllen werde. Ich werde dich heiraten.«
Vitória verschlug es die Sprache. Das war doch
wohl der Gipfel! Sie musste sich verhört haben. Aber nein, er sah sie
treuherzig an und schien es völlig ernst zu meinen.
»Einen merkwürdigen Humor hast du aus Europa
mitgebracht. Ich finde diese Art von Witzen überhaupt nicht komisch.«
Mit der Andeutung eines Lächelns ließ er den
Blick anzüglich an ihr herabwandern. Vitória fühlte sich schrecklich und wünschte,
sie wäre besser gekleidet. Sie wandte ihm ihr Profil zu und sah aus dem
Fenster. Nach etwa einer Minute stellte er das Portweinglas klirrend auf dem
Beistelltisch ab und stand abrupt aus seinem Sessel auf. Er kam zu ihr, ergriff
ihre Hand und flüsterte ihren Namen.
Vitórias Nerven waren zum Zerreißen gespannt,
aber sie zwang sich, Gleichgültigkeit zur Schau zu tragen. Sie konnte nicht
umhin, ihn aus den Augenwinkeln zu mustern. Er trug sein schweres, glattes,
schwarzes Haar etwas kürzer als früher. Seine Haut war bleich, sah aber nicht
ungesund aus. In Wahrheit sah er so vital und männlich aus, dass Vitória
unwillkürlich eine Gänsehaut bekam. Er war glatt rasiert, duftete gut und gab
in seinem modischen, aber unaufdringlichen Anzug eine wunderbare Figur ab.
»Vita, ich habe dich so vermisst«, hauchte er
ihr ins Ohr, das er wie zufällig mit seinen Lippen streifte.
Vitória drehte sich ruckartig zu ihm um und gab
ihm eine schallende Ohrfeige.
»Du Ungeheuer! Was gibt dir das Recht, mich mit
solchen Intimitäten zu belästigen? Ich will dich nie wieder hier sehen, hast du
verstanden? !«
León sah sie gerührt an. »Vita, wie süß du bist,
wenn du dich ärgerst.«
»Himmel, ich bin nicht süß und werde es auch dir
zuliebe nicht werden, nicht von deinen unverschämten
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