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Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
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verlieh. Vielmehr schien Fernanda inzwischen selbst an die
Geschichte zu glauben, die sie seit nunmehr zwei Jahren allen Bekannten und
sogar Zeca erzählt hatte: Als Tochter eines bescheidenen Handwerkers und seiner
dunkelhäutigen Frau aus dem Norden sei sie als Kind mit einem weißen Jungen aus
der Nachbarschaft befreundet gewesen, der ihr das Lesen und Schreiben
beigebracht hatte. Nach Rio de Janeiro habe es sie verschlagen, weil sie sich
hier bessere Chancen in ihrem Beruf als Lehrerin erhoffte. Diese Version schien
ihr jeder abzunehmen, und nur Félix kannte die Wahrheit. Keuchend stapfte er
den Hang hoch. Kein Wunder, dachte er verbittert, dass Fernanda sich lieber mit
Zeca abgab als mit ihm. Er war überhaupt nicht mehr in Form. Die Arbeit im
Kontor verlangte nicht den geringsten körperlichen Einsatz. Die einzige
Bewegung, die er hatte, war der schwierige Aufstieg zu seiner Hütte. Félix'
Beine waren stark, aber seine Oberarme hatten weniger als die Hälfte des
Umfangs von denen Zecas. Und die Weiber mochten nun einmal kräftige Männer.
Vielleicht sollte er seine Freizeit lieber dazu nutzen, seine Muskeln zu
trainieren, als damit, die Bücher zu lesen, die León Castro ihm lieh? Er könnte
sich öfter Olavos Ruderboot ausleihen. Oder sollte er sich vielleicht sogar in
der Kunst der Capoeira unterweisen lassen?
    Er hatte Feijão und ein paar andere Schwarze,
die aus Bahia gekommen waren, ein paarmal dabei beobachtet, wie sie diesen
Kampf-Tanz übten, und die Körperbeherrschung der Männer hatte ihm zutiefst
imponiert. Es war faszinierend zu sehen, mit welcher Leichtigkeit sie
akrobatische Verrenkungen machten, Brücken und Räder schlugen, auf nur einer
Hand stehend die Beine zum Spagat in der Luft spreizten. Wenn ein Paar
Aufstellung genommen hatte, wirkten die beiden Männer wie Rivalen, die sich bekämpften.
Mit Armen und Beinen wurden Hiebe und Tritte angedeutet, doch nie berührten sie
sich. Vielmehr schienen ihre Gliedmaßen in fließenden Bewegungen umeinander zu
kreisen, zu schweben, zu tanzen. Den Takt gab das Berimbau vor, ein
Saiteninstrument, das von einem der anderen Capoeiristas gespielt wurde, die im
Halbkreis um die Tänzer standen. Es war ein Spektakel von außergewöhnlicher
Grazie, dem, wenn die Tänzer ihre Kunst beherrschten, nicht anzusehen war, wie
viel Kraft dahintersteckte. Es hieß, dass die Capoeira in den senzalas, den
Sklavenhütten der Zuckerrohr- und Kakaoplantagen der Provinz Bahia, entstanden
war. Weil den Schwarzen alles untersagt war, was auch nur im Entferntesten dem
Kampf oder der Verteidigung hätte dienen können, unter anderem auch die
Perfektionierung ihrer Körperbeherrschung, hatten sie ihre raffinierten
Kampftechniken als Tanz getarnt. Während die Notwendigkeit dieser Tarnung in
der Freiheit hinfällig geworden war, hatte die Capoeira überlebt. Und Félix
wollte sie lernen.
    Wenige Stunden später, als seine miserable Laune
sich verflüchtigt hatte, nahm Félix all seinen Mut zusammen und ging zu Feijão.
    »Auf so eine halbe Portion wie dich haben wir
gerade gewartet«, sagte Feijão. Er war ein gutes Stück größer als Félix,
dennoch fand Félix es ungerecht, als halbe Portion beschimpft zu werden. Er war
immerhin etwa einen Meter achtzig groß, und ein Hänfling war er, wenn überhaupt,
nur im Vergleich zu diesem durchtrainierten Riesen. Félix zuckte mit den
Achseln und versuchte sich seine Enttäuschung nicht ansehen zu lassen. Doch als
er gehen wollte, hielt Feijão  ihn an der Schulter zurück.
    »Warte. Ich hab's nicht so gemeint. Du bist
schon in Ordnung. Ich bringe dir Capoeira bei, wenn du mir auch einen Gefallen
tust.« Félix hob erwartungsvoll die Brauen. Was konnte er schon für einen Mann
tun, der so viel besser aussah als er und ein paar Jahre älter war?
    »Ja? Tust du mir einen Gefallen?«, hakte Feijão
nach, dem Félix' Zögern nicht entgangen war.
    Félix dachte nicht daran, Feijão irgendetwas zu
versprechen, bevor er nicht wusste, was er von ihm wollte. Er machte eine
Vielleicht-Geste und forderte den anderen auf, ihm zu sagen, was genau er von
ihm wollte.
    »Tja, also jeder hier im Viertel weiß, dass du
nicht nur lesen und schreiben kannst, sondern auch eine richtige Anstellung
hast. Die Leute machen sich über dich lustig, aber in Wahrheit sind sie nur
neidisch. Du kennst sogar León Castro, sagt man! Vielleicht könntest du mal mit
ihm reden? Vielleicht braucht er einen wie mich, der stark ist und zuverlässig.
Weißt du, es ist

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