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Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain

Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain

Titel: Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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Für die ist eine Reise nach Rom oder Paris das gleiche, wie für mich eine Reise nach Charkow oder Omsk. Nicht verwunderlich, daß sie mir glaubt. Ins Ausland zu fahren ist nur ein Klacks – stell sich das einer vor. Würde mich wirklich interessieren, wer ihr Großvater ist?
    Aber Vera auszufragen, das hatte der Chemiker nicht gewagt, um seine Freundin nicht argwöhnisch zu machen. Er brachte es über Umwege heraus. Als er es erfuhr, erschrak er. Doch um alles rückgängig zu machen, dazu war es zu spät gewesen. Vera Denissowa hatte bereits in fünf oder sechs Filmen mitgemacht, sie kannte Semjon und Damir vom Sehen, und sogar die Adresse des Pavillons kannte sie. Man konnte nur noch hoffen, daß alles glücklich ausging. Aber damit es auch wirklich gut ausging, mußte man das Mädchen ganz besonders in ihrem Glauben stärken, daß er, Alexander Kasakow, ganz verrückt nach ihr sei und ohne seine Vera nicht mehr leben könne. Und Alexander gab sich wirklich Mühe. Er tat, was er konnte. Wie konnte er da abhauen? Dann glaubte sie ja womöglich noch, er hätte sie verlassen.
    * * *
    Am siebten Tag ihres Aufenthalts in der ›Doline‹ änderte sich für Nastja alles. Am Abend zuvor hatte sie sich früh hingelegt in der Hoffnung, einmal richtig ausschlafen zu können, und war dann total verblüfft, als es beim Aufwachen noch dunkel war und sie auch gar nicht weiterschlafen konnte. Eigentlich war sie eine richtige Schlafmütze, für die das Aufstehen morgens immer eine Folter bedeutete. Sie kuschelte sich unter ihre Decke, um noch ein wenig zu dösen, doch bald ließ sie das sein und hörte auf, sich etwas vorzumachen. In Gedanken war sie nämlich längst bei der Arbeit.
    Sechs Tage lang war es ihr gelungen, sich selbst an der Nase herumzuführen und sich einzureden, daß sie das alles nichts anginge, daß sie nicht im Dienst sei, sondern auf Kur und im Urlaub. Sechs Tage lang hatte sie es geschafft, die Signale ihres Verstandes zu ignorieren. Ganze sechs Tage lang hatte sie die Kripobeamtin in sich verdrängt und zwar so erfolgreich, daß sie bis in die Niederungen unverzeihlicher Weiberambitionen und albernen Gekränktseins gesunken war. Schluß mit der Verstellung, entschied Nastja, ich werde jetzt so sein, wie ich sein will. Und was sie als erstes wollte, das war nachdenken.
    Sie kroch aus dem Bett und ging unter die Dusche. Wie immer vor der Arbeit stellte sie sich einige Denksportaufgaben, um ihr Gehirn in Gang zu bringen. Heute nahm sie sich die Regeln zur Frage nach dem direkten Objekt der finno-ugrischen Sprachgruppe vor. Nachdem sie die Aufgabe gelöst und gleichzeitig die Temperatur des Wassers bis auf eine kaum mehr zu ertragende Eiseskälte heruntergedreht hatte, spürte sie wieder die vertraute freudige Erregung. Das Frühstück beschloß sie ausfallen zu lassen, sie kochte sich einen Kaffee und machte sich an die Arbeit.
    Gegen elf Uhr vormittags ging sie in die Halle hinunter und kaufte sich alle Zeitungen, die es gab, bis hin zu den alten Anzeigenblättern von vor einem Monat. Sie klemmte den dicken Packen Zeitungen unter den Arm, verließ das Gebäude und wanderte ungefähr eine Stunde lang im Park umher, wobei sie ihre gewohnte Tour ein wenig abänderte. Für eine Weile setzte sie sich auf eine Bank, vertiefte sich in die Zeitungen, kam wieder zu sich und begann, komplizierte Schnörkel auf einzelne Blätter zu malen.
    Bis zum Mittag hatte sie sich ein mehr oder weniger vollständiges Bild gemacht, das zwar noch Lücken aufwies, doch Nastja wußte ungefähr, wie man sie füllen konnte, was man dafür nachprüfen und klären mußte. Die Wut auf den Kripobeamten, der sie gestern vernommen hatte, war verraucht. Ihr war klar, daß man sie als jemanden, der Alferow wahrscheinlich direkt vor seiner Ermordung noch gesehen hatte, bestimmt erneut vernehmen würde. Vielleicht würde es ein anderer Kripobeamter machen, vielleicht auch ein Kommissar. Jedenfalls wäre der nicht so müde und gequält, und so würde es ihr bestimmt gelingen, ihn von all dem in Kenntnis zu setzen, was sie durch Kombinieren herausgefunden hatte.
    Es kam tatsächlich ein Kommissar. Man stellte ihm eines der nicht belegten Zimmer zur Verfügung, wohin er der Reihe nach alle Zeugen bestellte. Anastasija Kamenskaja war eine der ersten, mit denen er sprechen wollte. Das schien ihr schon mal ein gutes Zeichen zu sein.
    Nastja schwor sich, zurückhaltend zu sein. Sie war schließlich nicht das erste Jahr bei der Kripo und wußte sehr gut,

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