Anastasija 01 - Auf fremdem Terrain
entschlossen, den Ermittlungen etwas nachzuhelfen und das Verbrechen so schnell wie möglich nach formalen Kriterien aufzuklären. Dafür brauchen wir dies hier.« Er reichte Denissow einige zusammengeheftete handbeschriebene Blätter Papier.
»Jetzt zur letzten Frage: Wie kann man klären, was in der ›Doline‹ vor sich geht und wer Alferow wirklich getötet hat? Unsere Möglichkeiten reichen hierfür nicht aus. Ich schlage vor, Eduard Petrowitsch, darüber nachzudenken, ob wir nicht die Kamenskaja dafür benutzen sollten.«
»Keine schlechte Idee. Sprechen wir darüber.«
Mit diesen Worten blickte Eduard Petrowitsch Denissow Starkow und Kriwenko mit einem breiten Lächeln an und schenkte sich die zweite Tasse Tee ein.
* * *
Korotkows Idee war einfach und in vielfacher Hinsicht dienlich. Nachdem er Nastja zu einer verdächtigen Person gemacht hatte, für die sich die Moskauer Kriminalpolizei interessierte, noch dazu geheim und noch dazu unmittelbar nach dem Mord an dem Moskauer Alferow, wollte er die Verbrecher noch mehr verwirren, vorausgesetzt natürlich, daß sie irgendwo in der Nähe waren. Jura hoffte, daß die an dem Mord beteiligten Personen versuchen würden, sich an Nastja heranzumachen, um aus erster Hand Informationen darüber zu bekommen, in welche Richtung die Ermittlungen gingen und was die Polizei wußte. Wenn sein Plan funktionierte, so konnte man versuchen, durch die Kamenskaja gezielt Fehlinformationen zu streuen. Außerdem beabsichtigte Jura, gezielt Fehlinformationen über Nastja und über sich selbst zu verbreiten. Sie sei eine undurchsichtige Person, die man wegen irgendeiner Sache im Verdacht habe, man könne sich also ausrechnen, daß sie nicht bei der Polizei arbeite. Wenn auch irgendwelche Gerüchte in dieser Richtung durchgesickert waren – jetzt sollte allen klar sein, daß das nicht stimmte. Er, Major Korotkow, Mitarbeiter der Moskauer Kripo, würde durch sein offensichtliches Interesse an Anastasija Kamenskaja seine wahren Absichten verbergen.
Die Möglichkeit eines Auftragsmords wies in zwei Richtungen. Erstens: Alferow wurde von seinen eigenen Leuten auf Befehl des Generaldirektors der Firma ›Nord Trade Ltd.‹ getötet, weil der Fahrer mehr wußte, als er wissen sollte, und aus irgendeinem Grund gefährlich geworden war. Zweitens: Die Ermordung des Fahrers war ein Versuch, den Generaldirektor einzuschüchtern, eine Warnung von Konkurrenten oder Erpressern. Korotkow hatte aus Moskau eine präzise Beschreibung der Leute mitgebracht, die in der einen oder anderen Weise den Auftrag ausgeführt haben könnten und seiner Meinung nach versuchen würden, mit Nastja Kontakt aufzunehmen. Der Köder sollte auch dann locken, falls das Motiv für den Mord ein völlig anderes war, der Mörder sich aber nach wie vor in der STADT aufhielt. Freilich konnte dieser ganze Plan in sich zusammenfallen wie ein Kartenhaus, wenn sich die alte Zimmernachbarin als zu verläßlich erwies und den Mund hielt. Dann würde niemand erfahren, daß sich insgeheim die Kriminalpolizei für Nastja interessierte. Das konnte man keinesfalls zulassen. Nastja und Korotkow dachten darüber nach, wie man Regina Arkadjewna provozieren und irgendwie zum Plaudern bringen könnte.
»Vielleicht sollten wir es nicht so kompliziert machen, sondern sie einfach darum bitten?« schlug Jura vor.
»Ausgeschlossen. Du hast ihren Lieblingsschüler Ismailow vergessen. Ihm erzählt sie es hundertprozentig, sie ist ja keine Agentin, sondern eine gewöhnliche alte Frau mit normalen menschlichen Gefühlen. Vor ihm wird sie es nicht verbergen. Nein, Regina werden wir benutzen müssen, ohne daß sie es merkt. Soll Ismailow ruhig denken, daß ich eine Übersetzerin mit einer dunklen Vergangenheit bin.«
Kapitel 8
TAG NEUN
Am Morgen kam die Krankenschwester zu Regina Arkadjewna und wechselte den Verband am Bein, das wieder angeschwollen war. Während sie das Bein behandelte, bemerkte sie beiläufig:
»Sie hatten gestern Besuch von so einem sympathischen Herrn. Er hat übrigens den ganzen Abend mit Ihrer Nachbarin aus Zimmer 513 verbracht.«
»Das ist mein Neffe«, antwortete Regina Arkadjewna, und bemühte sich, ihr Gesicht nicht vor Schmerzen zu verziehen. »Was Sie nicht sagen!« Die Krankenschwester warf einen verwunderten Blick auf die Alte. »Wer hätte gedacht, daß Sie einen Neffen haben! Sie kommen schon so viele Jahre zu uns und haben immer gesagt, Sie seien ganz allein. Aber es zeigt sich, daß Sie nicht allein sind,
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