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Anastasija 02 - Der Rest war Schweigen

Titel: Anastasija 02 - Der Rest war Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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das ungute Gefühl faßbarer werden würde, aber sie irrte sich. Sie ließ auch das zweite Video bis zum Ende durchlaufen, aber das dumpfe Gefühl der Beunruhigung stellte sich nicht wieder ein. Sie spulte die erste Kassette wieder zurück, suchte die Stelle, die Jerochin auf dem Weg zum Markt von Konkowo zeigt, und sah sich diese Stelle noch einmal an, Sequenz für Sequenz, sehr langsam und aufmerksam, doch sie entdeckte wieder nichts.
    Nastja holte sich einen Kaffee, setzte sich erneut vor den Fernseher, zündete sich eine Zigarette an und begann die ganze Prozedur noch einmal von vorn. In irgendeinem Moment glaubte sie, es gesehen zu haben . . . hier . . . hier war es . . . Sie spulte noch einmal zurück und sah sich die Stelle erneut an. Doch nein, nichts. Das Gefühl der Beunruhigung blieb, aber der Grund dafür war nicht faßbar.
    Sie mußte eine Pause machen und sich die Videos später noch einmal ansehen. Sie trat zu Ljoscha, der in die Arbeit am Computer vertieft war.
    »Ljoschenka, kann ich dir helfen?«
    »Du mir helfen? Was ist passiert?« Er räkelte sich wohlig auf seinem Stuhl. »Wahrscheinlich steht uns eine ökologische Katastrophe bevor.«
    »Warum denn das?«
    »Weil du mir deine Hilfe angeboten hast. Wahrscheinlich werden morgen alle Bären der Welt krepieren, und übermorgen setzt eine tropische Hitzewelle ein. Willst du mir wirklich helfen?«
    »Ehrenwort. Ich muß mich für ein Viertelstündchen ablenken. Ich habe mich verrannt.«
    »Dann setze diese Daten in die Tabelle ein. Und ich bereite inzwischen das Programm vor.«
    Nastja machte sich gewissenhaft an die Arbeit. Die Therapie erwies sich als nützlich, denn die Arbeit erforderte ihre ganze Aufmerksamkeit und Konzentration. Nach einer halben Stunde war sie mit der Tabelle fertig und setzte sich wieder an den Fernseher. Erneut lief die Szene über den Bildschirm, die den Markt von Konkowo zeigte, Igor Jerochin in seiner ewigen braunen Lederjacke mit der eingerissenen Brusttasche und mit dem kleinen rot-blauen Sticker am Kragen. Es gelang ihr, sogar, die kleinen Muttermale zu entdecken, von denen Dascha gesprochen hatte. Eines über der Lippe und zwei neben dem Ohr. Das beunruhigende Gefühl wurde noch stärker, Nastja schien es, daß die Tür, die ins Unterbewußte und in den Gedächtnisspeicher führte, sich allmählich zu öffnen begann, immer weiter und weiter, im nächsten Moment würde helles Licht in den Raum einbrechen, und sie würde sehen . . .
    Das Läuten des Telefons unterbrach Nastja. Sie konnte fast körperlich fühlen, wie die Tür mit einem lauten Schlag wieder zufiel.
    Der Anrufer war ihr Halbbruder Alexander. Er wartete ungeduldig auf Neuigkeiten.
    »Hör zu, du mußt deine Schöne zu mir bringen«, sagte Nastja. »Ich möchte nur nicht, daß hinterher mein Dienstausweis fehlt. Sprich mit ihr, und ruf mich morgen im Büro an, dann werde ich dir sagen, wie du vorgehen sollst.«
    »Hast du etwas herausgefunden . . . etwas Unangenehmes?« fragte er vorsichtig.
    »Nein, nichts Unangenehmes«, beruhigte Nastja ihn, »deshalb möchte ich mit Dascha offen sprechen. Es sieht so aus, als wäre sie in eine dumme Geschichte geraten, ohne selbst etwas davon zu wissen.«
    »Und die Diebstähle?«
    »Darüber werde ich nicht mit ihr sprechen. Das ist eine Sache für sich. Sie wird tatsächlich beschattet, und ich möchte herausfinden, welchen Grund das hat. Geh schlafen, Sascha, mach dir keine Sorgen.«
    »Ich danke dir«, sagte er.
    »Keine Ursache«, antwortete Nastja schmunzelnd, und im stillen fügte sie hinzu: Danke nicht mir, sondern dem obersten Mafioso der STADT. Er ist es, der die Ermittlungen im Zusammenhang mit deiner Dascha bezahlt. Wie du wohl reagieren würdest, Bruderherz, wenn du das wüßtest? In Ohnmacht würdest du nicht fallen, das mit Sicherheit nicht, aber dein Bild von mir würde wohl ganz schön ins Wanken geraten. Man muß sehr viele Verbrecher und Opfer kennengelernt haben, um aufzuhören, die Welt in Schwarz und Weiß aufzuteilen.

FÜNFTES KAPITEL
    1
    Bereits seit dem Morgen fiel ein scheußlicher, kalter Sprühregen, gegen Abend waren Viktors Kleider so klamm, daß sie ihm am Körper klebten. Doch er ertrug mannhaft alle Widrigkeiten und Unannehmlichkeiten der offenen Straße, auf der er sich ständig aufhalten mußte, um das goldhaarige, blauäugige Mädchen zu beschatten. Das Mädchen gefiel Viktor. Er war hundertprozentig sicher, daß Artjom sich irrte oder die Beschattung aus übertriebener Vorsicht

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