Anastasija 02 - Der Rest war Schweigen
ihn mit ihren nackten Händen zu packen. Sie mußte sich etwas Schlaues ausdenken, um ihn auszutricksen. Es sei denn, er hatte mit den drei Morden gar nichts zu tun. Dann gab es eine Chance, wenn auch nur eine geringe. Nastja ging gewohnheitsmäßig alle denkbaren Varianten durch, das war ihr unumstößliches Prinzip bei der Lösung aller Fälle, aber tief im Innern glaubte sie diesmal nicht an einen Erfolg.
Ihr aufrichtiger Neid galt Bokr, dem »Goldjungen«, für den das Wort »aussichtslos« nicht existierte. Wie gern hätte auch sie diese Sicherheit besessen.
2
Suren Udunjan und Viktor Kostyrja parkten ihr Auto einen Häuserblock entfernt von dem Haus, in dem Dascha wohnte, und gingen zu Fuß weiter. Vor dem Haus stand ein Bus und davor eine kleine Gruppe von Menschen. Die Frauen trugen schwarze Kopftücher, manche hielten rote Nelken in der Hand.
»Es sieht nach einer Beerdigung aus«, bemerkte Kostyrja halblaut. »Dort steht auch ihr Galan, siehst du ihn?«
Surik nickte wortlos. Artjom hatte sie losgeschickt, damit sie herausfanden, was mit Dascha geschehen war. Zuerst hatten sie einen Blick ins »Orion« werfen wollen, doch am Eingang hatten sie einen verdächtigen Typen bemerkt, der mit demonstrativer Gleichgültigkeit alle Ein- und Ausgehenden beobachtete. Er erinnerte stark an einen Beamten, der auf Personen angesetzt war, die sich für die verschwundene Verkäuferin interessierten. Deshalb hatten sie sich nicht entschließen können, den Laden zu betreten, und waren zu Daschas Haus gefahren.
Sie blieben in der Nähe des Busses stehen und versuchten angestrengt, etwas von dem zu erhaschen, was die Leute in den Trauerkleidern redeten.
»Die Eltern sind völlig am Ende . . .«
»Der Kranz ist von den Kommilitonen . . .«
»Warum müssen Menschen so jung sterben?. . .«
»Diese Miliz ist doch völlig unfähig . . .«
»Dascha . . . lieber Gott, Daschenka . . .«
Plötzlich drehte einer der Männer sich um. Er fixierte Surik und Kostyrja einen Moment, dann kam er entschlossen auf sie zu.
»Wollt ihr auch zur Beerdigung? Woher kommt ihr? Von der Universität?« fragte er resolut.
»Nein, nein«, murmelte Surik mit unschuldigem Augenaufschlag und erstauntem Gesichtsausdruck, »wir sind nur Passanten. Wir stehen nur hier, um eine zu rauchen. Entschuldigen Sie. Wer ist denn gestorben?«
»Ein junges Mädchen. Aber der Tod eines fremden Menschen sollte kein Anlaß für Neugier sein. Sie sollten weitergehen. Gleich werden die Eltern aus dem Haus kommen, und Sie stehen da, rauchen und gaffen . . . So etwas tut man nicht«, sagte der Mann ärgerlich.
»Natürlich, natürlich«, sagte Viktor schnell, schickte sich zum Gehen an und zog Surik mit sich. »Bitte entschuldigen Sie.«
Schnellen Schrittes gingen sie zum Auto zurück. Sie stiegen ein und bemerkten in der Eile den Mann nicht, der auf einer Bank neben dem parkenden Auto saß. Er hielt eine Hundeleine in der Hand, unweit von ihm tummelte sich ein lustiger, pfirsichfarbener Miniaturpudel. Als das Auto sich entfernt hatte, holte der Mann ein kleines Sprechfunkgerät aus der Tasche.
»Sie sind weggefahren«, sagte er. »Zur Sicherheit warten wir noch fünfzehn Minuten.«
Nach einer Viertelstunde stiegen die schwarz gekleideten Leute in den Bus ein.
»Fahren wir nicht zu früh ab?« fragte Nastja beunruhigt und warf einen Blick auf die Uhr. »Sie könnten zurückkommen und noch einmal nachsehen.«
»Nein, nein, es ist nicht zu früh«, beruhigte Bokr sie. »Wir haben lange genug gewartet, um sie glauben zu machen, daß die Eltern inzwischen aus dem Haus gekommen und wir zum Friedhof abgefahren sind. Wollen wir hoffen, daß sie nicht sämtliche Friedhöfe der Stadt absuchen, um sich davon zu überzeugen, daß das Mädchen wirklich beerdigt wird.«
»Wollen wir es hoffen«, sagte Nastja.
3
Viktor Alexejewitsch Gordejew hörte Nastja aufmerksam zu. Nach der Krankheit, die er stoisch in der Vertikale überstanden hatte, sah er angegriffen aus, unter den Augen hatten sich Tränensäcke gebildet, seine Glatze glänzte vor Schweiß, und eine gewisse Kurzatmigkeit machte sich bemerkbar. Doch er schenkte seiner Unpäßlichkeit, wie immer, keine Beachtung, er blieb der, der er immer war: das zähe, zielstrebige und unbeirrbare Knüppelchen.
Nastja saß bereits seit fast einer Stunde in seinem Büro und berichtete ihm über den Stand ihrer Erkenntnisse bezüglich der vier schwierigsten Fälle, in denen gerade ermittelt wurde.
»Viktor Alexejewitsch, ich
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