Anastasija 02 - Der Rest war Schweigen
– Auswertungen 1985‹ an, und dann geh auf ›Suchen‹.«
»Ja, Befehl ausgeführt. Was suchen wir?«
»Vakar.«
»Wie?« fragte Ljoscha nach. »Buchstabiere bitte.«
Nastja buchstabierte.
»Ja, so einen gibt es.«
»Lies mir bitte vor, was über ihn drinsteht.«
»Das ist sehr viel«, entrüstete sich Ljoscha. »Du hast wohl überhaupt kein Gewissen?«
»Nein, Lieber, ich habe kein Gewissen, ich sitze auf Kohlen. Lies bitte, lies doch endlich!«
»Sechzehn Prozent der aufgeklärten Mordfälle konnten aufgrund ›heißer Spuren‹ mit Hilfe von Streifenposten . . .«
»Nein, das kannst du weglassen. Geh zum nächsten Absatz.«
»Gut, zweiter Absatz. Ich lese. Der Geschädigte, Andrej Vakar, geboren 1974, wurde durch Messerstiche getötet, die ihm von halbwüchsigen Rowdys zugefügt wurden. Die Täter waren zum Zeitpunkt der Tat noch nicht strafmündig. Gegen den älteren Bruder des Beteiligten, der die Tat angestiftet hatte, wurde ein Strafverfahren eingeleitet. Die vier Halbwüchsigen begingen den Mord, um damit eine Spielschuld zu begleichen. Bei den Tätern handelt es sich um Jurij Oreschkin, geboren 1971, Igor Jerochin, geboren 1971, Ravil Gabdrachmanow, geboren 1971, Nikolaj Sakuschnjak, geboren 1971. Alle vier besuchen die Schule Nr. 183 im Moskauer Stadtteil Kirowskij. Im Zusammenhang mit der Tat wurden der Schwester des Opfers, Jelisaweta Vakar, geboren 1969, leichte Körperverletzungen beigebracht. Die Halbwüchsigen wurden fünfzig Minuten nach Begehung der Tat und zwanzig Minuten nach Eingang der Tatmeldung beim Bereitschaftsdienst der Kripo festgenommen.«
»Ljoscha, ich möchte etwas für dich tun.«
»Wie meinst du das?« fragte er erstaunt.
»Verlange von mir, was du willst, ich werde alles tun, nur schenk mir noch eine Viertelstunde deiner Zeit.«
»Wirst du mich heiraten?«
»Ja.«
»Du bist eine Lügnerin«, seufzte er. »Aber was soll’s. Gib deine Anweisungen.«
»Geh bitte noch mal auf ›Ermittlung – Auswertungen und dann auf ›Annex-O‹.«
»Ich hab’s. Soll ich öffnen?«
»Ja. Dann gehe wieder auf ›Suchen‹ und gib die Familiennamen ein.«
»Welche Familiennamen?«
»Natürlich diejenigen, die du mir eben vorgelesen hast. Die Namen der vier Halbwüchsigen, die Andrej Vakar ermordet haben.«
»Glaubst du etwa, an die erinnere ich mich noch? Nastja, tickst du noch richtig?«
»Jurij Oreschkin«, sagte sie ihm vor.
»So einen gibt es«, bestätigte Ljoscha. »1992 U, steht hier.«
»Das habe ich mir gedacht«, sagte sie leise. »Jetzt Nikolaj Sakuschnjak.«
»Den gibt es auch. 1993 U. Nastja, was bedeutet das?«
»›Annex – O‹ ist die Namensliste von Opfern, das heißt, von Ermordeten. Hinter dem Namen steht das Jahr, in dem der Mord begangen wurde. U bedeutet, daß die Tat unaufgeklärt geblieben ist. Wenn da A steht, dann handelt es sich um einen aufgeklärten Mordfall.«
»Hier gibt es noch ›Annex – T‹. Was ist das?«
»Das ist die Namensliste der Täter. Aber schweife jetzt nicht ab, Ljoscha. Sieh nach, ob es einen Igor Jerochin gibt.«
»Nein, so einen gibt es nicht.«
»Bis jetzt noch nicht«, murmelte sie kaum hörbar.
»Was sagst du?« fragte Ljoscha.
»Nichts. Ich denke nur laut. Jetzt bitte Ravil Gabdrachmanow.«
»Hier ist er. 1993 U.«
»Unglaublich! Jetzt öffne bitte die Datei für 1992.«
»Wir suchen nach Jurij Oreschkin, stimmt’s?«
»Stimmt. Du bist ein kluges Köpfchen.«
»Das ist dein Einfluß. Sage mir, mit wem du umgehst . . .«
ZEHNTES KAPITEL
1
Sie weinte im Schlaf. Im Traum erschienen ihr die ermordete Dascha Sundijewa und ihr bleicher, völlig gebrochener Halbbruder Sascha. Er hielt ein neugeborenes Kind auf den Armen, und während sie den Säugling betrachtete, dachte sie: An allem bin ich schuld. Wenn ich nicht so viele Fehler gemacht hätte, wäre Dascha noch am Leben. Dann kam ihr der rettende Gedanke, daß Dascha zum Zeitpunkt ihres Todes noch am Anfang der Schwangerschaft war, und deshalb konnte es sich keinesfalls um ihr Kind handeln, das Sascha auf den Armen hielt. Und wenn es dennoch ihr Kind war, dann mußte Dascha aus anderen Gründen gestorben sein, denn . . . Sie kam nicht dazu, diesen Gedanken zu Ende zu denken, denn es überfiel sie im Traum eine solche Verzweiflung, daß sich ihr ganzer Körper vor Schmerz zusammenkrampfte. Sie wollte laut schreien, aber ihrer Kehle entwich nur ein halb gehauchter, halb murmelnder Laut. Sie nahm ihre ganze Kraft zusammen, um zu schreien, weil sie
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