Anastasija 05 - Die Stunde des Henkers
dafür, dass man den verfluchten Safe nicht öffnete.
»Man könnte meinen, du hast Sehnsucht nach mir bekommen«, brummte Pawel. »Wenn ich mich recht erinnere, kennst du irgendwelche Weiber im Metropol. Ich hoffe, du hast dich inzwischen nicht mit ihnen zerstritten.«
»Nicht doch, Pawel Dmitrijewitsch«, lächelte Asaturjan. »Frauen sind etwas Heiliges, mit ihnen darf man sich nicht zerstreiten. Frauen muss man auf Händen tragen.«
»Richtig«, stimmte Pawel zu. »Übermorgen ist eine Veranstaltung im Metropol. Da wirst du gebraucht.«
»Allzeit bereit!«, rief Garik freudig aus und warf die Arme in die Luft wie ein junger Pionier zum Gruß.
* * *
Als Letzten seiner Gruppe suchte Sauljak Karl Friedrichowitsch Rifinius auf, einen Mann in fortgerückten Jahren, der von jeher die Rolle des düsteren, geheimnisvollen Schönlings spielte. Karl war begabter als Rita, aber bei weitem nicht so begabt wie Michail Larkin. Er verfügte über ähnliche Fähigkeiten wie Garik Asaturjan, aber er hatte eine ganz andere Persönlichkeitsstruktur. Ein hoch gewachsener, imposanter Mann mit dichtem, früh ergrautem Haar und funkelnden schwarzen Augen, der die Frauen um den Verstand brachte, ganz ohne Anwendung seiner hypnotischen Fähigkeiten. Bereits mit etwa zwanzig Jahren hatte er sich das Image des tragischen Helden zugelegt, und das pflegte er bis zum heutigen Tag.
Karl Friedrichowitsch war vom Fach, er arbeitete als Psychotherapeut und setzte dabei vor allem die Hypnose ein. Und das wurde ihm schließlich zum Verhängnis. Eine Patientin, die bis über beide Ohren in ihn verliebt war und monatelang darauf gewartet hatte, dass der schöne Arzt, der ihr so oft Komplimente machte, endlich zur Tat schritt, erstattete Anzeige gegen ihn. Sie behauptete, dass Doktor Rifinius sie unter Ausnutzung ihres hilflosen Zustandes in der Hypnose vergewaltigt hätte. Der Ehemann dieser Patientin war ein hohes Tier, er gehörte zur Staats- und Partei-Elite, und Doktor Rifinius begriff, dass er als praktizierender Arzt verloren war. Das Schicksal hatte ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Er hätte natürlich versuchen können zu kämpfen, seine Unschuld zu beweisen, Interviews zu geben und sich gegen die Verleumdung zu wehren. Er hätte es versuchen können, wenn alles das drei, vier Jahre später passiert wäre, zu einer Zeit, als man bereits von Demokratie, Pluralismus und Pressefreiheit zu sprechen begonnen hatte. Aber das Unglück hatte Karl Friedrichowitsch 1985 ereilt, und zu dieser Zeit hatte er nicht die geringsten Chancen, den Kampf zu gewinnen. Man gab ihm vielmehr deutlich zu verstehen, dass er stillschweigend aus der Hauptstadt verschwinden solle, irgendwohin, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagten, denn für Leute wie ihn, für Perverse und nichtswürdige Halunken, gäbe es keinen Platz an dem Ort, wo die Elite des Landes lebte und arbeitete. Schweren Herzens entschloss Karl Friedrichowitsch sich zu einem Wohnortwechsel. Er bot seine Moskauer Wohnung zum Tausch gegen ein schönes großes Haus irgendwo in Zentralrussland an.
Eines Tages tauchte bei Rifinius ein Mann auf, der ihm versprach, dass er unter bestimmten Umständen in Moskau bleiben könne. Dazu hatte er drei Bedingungen zu erfüllen: Er musste ein für alle Mal seinen Beruf als praktizierender Arzt aufgeben, er musste seinen Namen und seine Adresse ändern und sich in den Dienst seines Besuchers stellen und dessen Aufträge erfüllen. Karl war weder dumm noch naiv, die Art des Angebotes und der vorgeschlagenen Problemlösung ließ keinen Zweifel daran, mit wem er es zu tun hatte, und er begriff auch sehr schnell, welche Dienste man von ihm erwartete. An Geld war Karl nicht interessiert, er hatte bereits genug verdient, um so zu leben, wie es ihm gefiel. Er hatte nichts zu fürchten, denn er hatte nie etwas Ungesetzliches getan, und das, was er nicht getan hatte, hatte man ihm ohnehin schon angehängt. Aber in ihm brannte der Hass. Der Hass auf das Luder, das sich an ihm gerächt hatte, weil er nicht mit ihr ins Bett gegangen war. Der Hass auf ihren selbstherrlichen Ehemann. Der Hass auf alle diejenigen, die sich anmaßten, Geist, Ehre und Gewissen zu verkörpern und mit denen er nicht in einer Stadt leben durfte.
Pawel besorgte ihm neue Papiere, sein Name war jetzt Konstantin Fjodorowitsch Rewenko. Sauljak erklärte ihm, dass man diesen Namen gewählt hatte, damit seine ursprünglichen Initialen erhalten blieben, so würde er es leichter haben mit
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