Anastasija 07 - Mit tödlichen Folgen
Woloschin Moskau, und Alina weiß das ganz offensichtlich, denn sie schreibt in ihr Tagebuch, sie müsse nun keine Angst mehr vor ihm haben. Wahrscheinlich hat Smulow Woloschin dafür bezahlt, dass er verschwand und Alina in Ruhe ließ. Bis dahin geht alles auf. Woloschin kommt zurück und taucht in Alinas Blickfeld auf. Und zwar nicht zufällig. Er fährt an ihren Drehort. Er sucht sie. Warum? Okay, dazu später. Alina sieht ihn und . . . Sie erschrickt so, als hätte sie ein Gespenst gesehen. Keinen Menschen, den sie kennt und vor dem sie Angst hat, sondern ein Gespenst. Ihr Gesicht spiegelt so ungespieltes Entsetzen, dass sie wirkt wie am Rande des Wahnsinns. Und was ist ein Gespenst? Der Geist eines Toten. Alina glaubte, Woloschin sei tot, darum war sie sich so sicher, ihn nicht mehr fürchten zu müssen. Denn wäre er einfach nur weggefahren, hätte er ja jeden Moment wiederkommen können. Doch davon ist im Tagebuch nicht die Rede. Kein einziges Mal, wenn sie ihren Furcht einflößenden Traum beschreibt, erwähnt sie, dass der Mann mit dem Muttermal auf der Wange und den schmalen Lippen wieder auftauchen könnte. Nein, jedes Mal schreibt sie überzeugt: »Wie gut, dass ich keine Angst mehr haben muss.«
»Ich verstehe«, sagte sie in den Raum hinein.
»Was verstehst du?«
»Ich verstehe«, wiederholte sie, selig lächelnd. »Jetzt verstehe ich alles. Ljoscha, das Huhn schmeckt toll. Tu mir bitte noch was auf.«
Korotkow
Sie fuhren zu dritt zu Smulow: Gmyrja, Anastasija und Korotkow. Den ganzen Tag hatten sie sich auf das Gespräch vorbereitet, die Reihenfolge der Fragen und Fallen besprochen, verzweifelt eine Variante nach der anderen verworfen und immer wieder von vorn angefangen. Gmyrja war für einen Frontalangriff.
»Ich finde, wir sollten ihn überrumpeln, ihm die Tat auf den Kopf zu sagen. Dann gerät er ins Schwimmen.«
»Aber nein, Boris Vitaljewitsch, wenn er uns sieht, wird er im Gegenteil sofort misstrauisch und auf unangenehme Überraschungen gefasst sein. Wir müssen ihn beruhigen, ihn ablenken, damit er sich entspannt«, widersprach Nastja hitzig. »Smulow ist von überdurchschnittlicher Intelligenz, talentiert und außergewöhnlich. Er wird uns noch einen Haufen Lügengeschichten auftischen, wenn wir nicht auf Anhieb ins Schwarze treffen.«
»Wieso meint du, wir würden nicht ins Schwarze treffen?«, fragte Gmyrja erstaunt. »Wir sind doch alle Meisterschützen!«
»Machen Sie ruhig Witze, aber ich spüre genau, dass wir uns was einfallen lassen müssen, irgendwas . . .«
Was genau, konnte sie nicht formulieren.
Sie fanden Smulow bei Sirius, fingen ihn im Flur ab und fragten ihn freundlich lächelnd, wo sie sich in Ruhe mit ihm unterhalten könnten. Es würde nicht lange dauern, aber sie bräuchten unbedingt einen Tisch, um Protokoll zu führen. Smulow erleichterte ihnen die Aufgabe, indem er Stassows Büro vorschlug. Der war wie verabredet an seinem Platz und erwartete sie bereits.
»Soll ich rausgehen?«, fragte er höflich.
»Nicht doch, Wladislaw Nikolajewitsch, es dauert nur fünf Minuten und ist auch nicht geheim. Wenn wir Sie nicht stören.« Nastja lächelte, so charmant sie konnte.
Sie machten es sich bequem. Gmyrja setzte sich an den Tisch, um das Gespräch zu protokollieren, Smulow und Korotkow setzten sich ihm gegenüber in die Besuchersessel, Nastja und Stassow in die Ecke, wo zwei weitere bequeme weiche Sessel standen. Gmyrja übertrug Smulows Personalien in das Protokollformular.
»Andrej Lwowitsch, waren Sie sehr gekränkt, als Sie Ihre Mutter fragten, ob sie Sie liebe, und sie daraufhin nur lachte?«
Smulow wandte sich abrupt zu Nastja um.
»Was tut das zur Sache?«, fragte er wütend.
»Nichts, nur so«, antwortete sie gelassen. »Ich habe mir nur Ihre Filme angesehen und bemerkt, dass dieses Motiv in allen Ihren Filmen vorkommt. Auch in denen, die Sie vor Ihrer Bekanntschaft mit Alina gedreht haben. Und dann hat einer unserer Kollegen mit Ihrer Mutter gesprochen. Sie war es, die Sie auf diese Weise verletzt hat, nicht Alina. Warum haben Sie uns beschwindelt?«
»Ich habe Sie nicht beschwindelt. Leider hat auch Alina mich so verletzt. Diese Geschichte aus der Kindheit hatte ich längst vergessen.«
Er lächelte und schlug die Beine übereinander, bemüht, leger zu wirken. Die Hände, die zuvor locker auf den Beinen gelegen hatten, verschränkte er nun vor der Brust, für Korotkow ein Zeichen für Smulows Anspannung – er »machte dicht«, obgleich er das
Weitere Kostenlose Bücher