Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes
hast gewusst, dass du ihr eines Tages wieder in die Augen sehen musst. Du hast Recht, Wolodja, wir hätten schon lange miteinander reden müssen. Irgendwie ist es so gekommen, dass wir in letzter Zeit nie mehr über deine persönlichen Dinge gesprochen haben. Seit wir Zusammenarbeiten, das heißt, seit du mein und Genas Chef bist, scheuen wir uns davor, dich auf dein Privatleben anzusprechen. Du kannst tun, was du willst, du bist ein erwachsener Mensch und hast uns nie um Rat gefragt. Du hast nur Anweisungen gegeben und von uns erwartet, dass wir sie widerspruchslos ausführen. Doch die Geschichte mit Mila hat uns sehr erstaunt. Deine Trennung von Alla hat uns zwar auch überrascht, aber immerhin hielt sich das noch im normalen Rahmen. Ein verheirateter Mann verlässt seine Frau nach zwanzig Jahren Ehe, weil er sich in eine Jüngere verliebt hat, so etwas kommt bekanntlich nicht selten vor. Aber die Geschichte mit Mila . . . Da hast du zu viel des Guten getan. Warum hast du nicht gewartet, bis Ljuba zurückkam, um die Beziehung mit ihr auf anständige Weise zu beenden? Du hast das Telefon nicht abgenommen, wenn sie anrief, du hast ihre Stimme auf dem Anrufbeantworter gehört und nicht reagiert. Vielleicht interessiert dich das gar nicht, aber sie hat Larissa erzählt, dass sie in der Türkei gehungert hat. Sie hat auf Mahlzeiten verzichtet, um sich eine Telefonkarte kaufen zu können und dich anzurufen. Aber du hast einfach nicht abgenommen. Was hast du dir dabei gedacht? Du musstest doch wissen, dass sie früher oder später zurückkommen und eine Erklärung von dir verlangen würde.«
»Sie hat gehungert?«, fragte Strelnikow leise. »Das habe ich nicht gewusst. Mila hat gesagt, dass bei ihr alles in Ordnung ist, dass es ihr sehr gut geht, dass sie eine interessante, gut bezahlte Arbeit hat. Heißt das, dass Mila mich angelogen hat?«
»Es geht nicht darum, dass sie dich angelogen hat, sondern darum, dass du ihr geglaubt hast. Du hast ihr geglaubt, weil du ihr glauben wolltest. Du hast kein einziges Mal das Telefon abgenommen, um dich davon zu überzeugen, ob Mila die Wahrheit sagt oder nicht, ob es der Frau, mit der du zwei Jahre zusammen warst und der du die Ehe versprochen hast, wirklich gut geht. Ich will nichts Schlechtes über eine Tote sagen, aber es kann dir unmöglich entgangen sein, dass Mila eine durch und durch verlogene Person war. Gib zu, dass du es gewusst hast.«
»Slawa, ich bitte dich . . . Lass uns nicht über Mila sprechen. Wie immer sie gewesen sein mag, sie ist nicht mehr. Lassen wir sie in Frieden ruhen. Sag mir lieber, was ich mit Ljuba machen soll. Wie soll ich mich verhalten, wenn sie auf der Beerdigung erscheint?«
»Ich weiß es nicht«, erwiderte Tomtschak ungehalten. Er hätte Strelnikow gern etwas Grobes gesagt. Du musst selbst auslöffeln, was du dir eingebrockt hast . . . Als du mit Mila ins Bett gegangen bist, hast du mich auch nicht um Rat gefragt. . . Aber er sagte nichts dergleichen, weil er wusste, dass er sich einem Freund gegenüber nicht so verhalten durfte. Wolodja bat ihn um Rat und Hilfe, und er musste für ihn da sein, anstatt ihm Moral zu predigen.
»Wenn du willst, kümmern Larissa und ich uns um Ljuba. Schließlich ist sie ein normaler, vernünftiger Mensch und wird dir in einem solchen Moment keine Szene machen.«
»Bist du dir sicher?«
»Natürlich. Wäre sie der Meinung, dass du ihr eine Erklärung schuldig bist, wäre sie längst zu dir gekommen. Sie hätte nicht gewartet, bis ihre Rivalin . . .«
Tomtschak verstummte. Was hatte er gesagt? Hatte es nicht so geklungen, als hätte er Ljuba in Verdacht? Was für ein Unsinn! Ljuba konnte so etwas nicht getan haben. Obwohl, warum eigentlich nicht? Kannte er sie denn gut genug, um sich dessen sicher zu sein?,
Strelnikow schwieg und sah ins Feuer. In seinem Widerschein wirkte sein Gesicht wie aus Stein gemeißelt, irgendwie tot und unerwartet hart.
»Ich habe noch eine Bitte an dich, Slawa«, sagte er leise. »Ich wurde bereits von der Miliz verhört. Dem Beamten scheint der Gedanke zu gefallen, dass es sich um Mord aus Eifersucht handelt. Ljuba und ich sind die Hauptverdächtigen.«
»Du?«, fragte Tomtschak erstaunt. »Ljuba – das ist verständlich. Aber warum du?«
»Weil Mila sehr viele Liebhaber hinter meinem Rücken hatte. Aber ich habe das nicht gewusst, Slawa, ich schwöre dir, dass ich es nicht gewusst habe. Ich habe es erst von der Miliz erfahren. Ich hatte keinen Grund zur Eifersucht. Glaubst du
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