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Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes

Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes

Titel: Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
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an alte Beziehungen anknüpfen und schüchtern fragen, ob jemand Arbeit für ihn hätte, wenigstens irgendeine. Tomtschak wollte sich mit solchen Aussichten nicht abfinden.
    Von der Straße erklang das Geräusch eines heranfahrenden Wagens, doch Tomtschak drehte sich nicht einmal um. Wahrscheinlich kam jemand von den Nachbarn zum Ende der Saison noch einmal auf seine Datscha, aber Tomtschak wollte mit niemandem sprechen. Das Auto hielt jedoch direkt vor seinem eigenen Gartentor, und Tomtschak vernahm ein ungeduldiges Hupen. Er erhob sich schwerfällig von seinem Schaukelstuhl und ging langsam zum Tor. Draußen stand Strelnikows Auto. Slawa öffnete eilig das Tor.
    Während er mit seinem Freund zum Haus ging, betrachtete er ihn bewundernd von der Seite. Strelnikow war etwas schmaler geworden, ein paar graue Haare waren hinzugekommen, aber er war immer noch unglaublich schön, sein Schritt nach wie vor leicht und zielstrebig.
    »Was erlaubst du dir eigentlich, Slawa?«, fragte Strelnikow ohne jede Vorrede. »Warum versteckst du dich auf der Datscha und bläst Trübsal? So geht das nicht. Setz mal Teewasser auf, ich habe etwas mitgebracht.«
    Er warf seine teure Jacke achtlos auf das Verandageländer und lief wieder zum Auto. Tomtschak ging ins Haus, um in der Küche Teewasser aufzusetzen, und als er wieder auf die Veranda heraustrat, sah er, wie Strelnikow eine riesige Tasche mit Lebensmitteln auspackte. Fleisch, Obst, Pralinen, teuren Cognac, Gin und guten Wein.
    »Was machst du denn da, Wolodja?«, fragte Tomtschak erstaunt. »Ich sterbe hier nicht vor Hunger, ich habe alles, was ich brauche.«
    Er fühlte sich unangenehm berührt, denn der überraschende Besuch des Freundes samt dieser großen Tasche voller Lebensmittel wirkte wie eine Geste des Mitleids. Als wäre Strelnikow der großzügige Wohltäter und er selbst ein unglücklicher, armseliger Hungerleider.
    »Aber ich sterbe vor Hunger«, erwiderte Strelnikow fröhlich. »Ich ernähre mich schon seit einer Woche nur noch von belegten Broten, das Leben ist so hektisch geworden, dass ich nicht mehr dazukomme, etwas Anständiges zu essen. Ich habe beschlossen, das alles drei Tage lang zu vergessen. Was meinst du, reicht uns das für drei Tage, oder soll ich noch einmal losfahren und noch mehr besorgen?«
    Tomtschaks Herz setzte aus und begann freudig zu klopfen.
    »Hast du vor, drei Tage zu bleiben?«, fragte er ungläubig.
    »Wenn du nichts dagegen hast. Wir müssen unbedingt miteinander reden, Slawa, das ist schon lange fällig, aber zuerst braten wir dieses Fleisch hier, trinken ein Glas, und dann sage ich dir alles, was ich dir schon lange sagen will. Wo ist dein berühmter Grill?«
    Nachdem sie die Schaschliks gebraten hatten, ging die Sonne bereits unter. Der Tisch auf der Veranda war voll gestellt mit allen möglichen Vorspeisen und Beilagen.
    »Den Herbst auf der Datscha liebe ich vor allem deshalb, weil man abends bei Licht auf der Veranda sitzen kann, ohne von Mücken aufgefressen zu werden. Was möchtest du, Slawa? Cognac oder Gin Tonic?«
    »Gin. Aber ich nehme mir selbst, du brauchst mich nicht zu bedienen. Schließlich bin ich der Gastgeber und nicht der Gast.«
    »Nein, nein«, sagte Strelnikow entschieden. »Heute bist du mein Gast, mein Ehrengast, es ist einfach nur so gekommen, dass ich dich in deinem Haus empfange und nicht in meinem eigenen.«
    Er goss sich ein Glas Cognac ein und erhob sich. Tomtschak sah seinen Freund konsterniert an.
    »Was ist los?«
    »Trinksprüche bringt man stehend aus.«
    »Hör schon auf, Wolodja. Setz dich wieder hin, wir sind schließlich alte Freunde.«
    »Eben deshalb. Widersprich mir nicht, Slawa, bleib ruhig sitzen und hör mir zu. Bei keinem anderen würde ich mich in dieser Situation erheben, aber du bist ein besonderer Mensch für mich. Du bedeutest mir sehr viel, Slawa, und wenn ich diesen Trinkspruch stehend ausbringe, dann deshalb, weil ich dir zeigen möchte, wie ich dich achte, schätze und liebe. Weißt du, die wahren Freunde sind nicht die, die man jeden Tag trifft, sondern diejenigen, die man aufsucht, wenn man eine Zuflucht braucht, weil man weiß, dass man nicht weggeschickt und im Stich gelassen, sondern aufgenommen und gewärmt wird. Ich habe dich immer als ebensolchen Freund gesehen, zumal wir uns seit mehr als einem Vierteljahrhundert kennen. Das muss man sich nur einmal vorstellen, Slawa, ein Vierteljahrhundert! Und ich war überzeugt davon, dass auch du mich als Freund siehst. Ich habe immer

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