Anastasija 08 - Im Antlitz des Todes
dazu müsste ich erst wissen, ob ich überhaupt in der. Lage bin, so eine Arbeit zu machen.«
»Aber Tanja, du bist doch Untersuchungsführerin mit enormer Berufserfahrung«, sagte Nastja erstaunt. »Welche Beweise brauchst du noch? Du hast schon die kniffligsten Fälle gelöst.«
»Aber das ist nicht dasselbe. Als Untersuchungsführerin, als prozessführende Person, als offizielle Vertreterin der Staatsjustiz habe ich das Recht, Fragen zu stellen und Antworten zu verlangen. Aber ein Detektiv, ein Ermittler ist in einer ganz anderen Lage. Ihr Beamte im operativen Dienst seid im Grunde rechtlose Geschöpfe. Verzeih mir, Nastja, wenn ich dich kränke, aber du weißt, dass es tatsächlich so ist. Ihr könnt nur bitten und eure Überredungskünste anwenden. Ihr seid angewiesen auf guten Willen, auf Freiwilligkeit, und wenn das nicht funktioniert, dann müsst ihr mit Tricks arbeiten, es mit List und Tücke versuchen. Und notfalls auch mit Gewalt. Aber die Kriminellen erzählen euch viel mehr als einem Untersuchungsführer. Denn niemand weiß besser als sie, dass das, was sie einem Untersuchungsführer zu Protokoll geben, rechtskräftig ist, während das, was sie einem operativen Mitarbeiter erzählen, nichts zu bedeuten hat. Diese Geständnisse sind keinen Pfifferling wert. Ihr könnt bis an euer Lebensende behaupten, dass der Angeklagte dies und das gesagt, dass er den Mord gestanden hat, aber er wird sich ins Fäustchen lachen und sagen, dass er nichts dergleichen getan hat, dass ihr lügt oder dass er nur Spaß gemacht hat, weil das eben seine Art von Humor ist. Mit all dem möchte ich sagen, dass Untersuchungsführer und operative Beamte unter ganz verschiedenen psychologischen Voraussetzungen arbeiten und vor ganz unterschiedlichen professionellen Anforderungen stehen. Vielleicht bin ich keine schlechte Untersuchungsführerin, aber zur Detektivin tauge ich nicht. Oder vielleicht doch. Das ist es, was ich gern herausfinden würde.«
»Möchtest du ein wenig an der Aufklärung des Mordfalles Schirokowa mitarbeiten?«
»Nicht offiziell. Ich möchte niemandem von euch ins Handwerk pfuschen. Ich würde nichts aus eigener Initiative tun, sondern nur euren Anweisungen folgen. Aber mir ist klar, dass dein Chef das nicht erlauben wird.«
»Bestehst du darauf, dass ich ihn davon in Kenntnis setze?«
»Das musst du entscheiden. Aber es wäre sinnlos, es zu verheimlichen, es kommt sowieso heraus. Und dann gibt es nur Unannehmlichkeiten.«
»Du hast Recht«, sagte Nastja mit einem Seufzer. »Ich glaube auch, dass Gordejew es nicht erlauben wird. Obwohl wir ja nichts Schlechtes tun würden. Du könntest Arbeiten übernehmen, bei denen du als Beteiligte gar nicht in Erscheinung trittst. Zum Beispiel könntest du dich unter einem beliebigen Vorwand mit den Bewohnern irgendeines Hauses unterhalten und herausfinden, ob jemand von ihnen etwas weiß oder gesehen hat, das uns interessiert, und das eigentliche Gespräch mit diesen Personen würde dann jemand von uns führen, entweder Kolja oder Jura Korotkow oder ich selbst. Und wenn die Sache wider Erwarten bei Gordejew landen sollte, wird der Zeuge ganz ehrlich sagen können, wer von uns ihn befragt hat. An dich wird er sich gar nicht mehr erinnern.«
»Willst du tricksen?«
»Ja. Gordejew ist ein sehr guter Chef und ein sehr guter Mensch, aber er wird mir nicht erlauben, deine Hilfe in Anspruch zu nehmen. Er kennt die Dienstvorschriften und hält sich nach Möglichkeit daran. Jedenfalls verstößt er nicht dagegen, wenn es nicht unbedingt nötig ist, und im Mordfall Schirokowa ist es nicht nötig. Sollte sich herausstellen, dass die Frau umgebracht wurde, weil Strelnikow im Zusammenhang mit irgendwelchen Geldgeschäften unter Druck gesetzt werden sollte, würde die Sache sofort ganz anders aussehen. Das würde nach organisiertem Verbrechen riechen, nach Amtsmissbrauch, nach Bestechung und Betrug. Die Kontrolle über die Ermittlungen würde der Leiter der Hauptverwaltung für Inneres übernehmen oder, was Gott verhindern möge, der Minister selbst, und dann würden wir hier jede Hand brauchen, jeden, der uns seine Hilfe anbietet. Gordejew würde beide Augen zudrücken und alles erlauben. Aber bis jetzt handelt es sich nur um die Leiche eines schönen Flittchens, die auf einer Müllhalde gefunden wurde. Tanja, hältst du dich für eine schöne Frau?«
Die Frage kam so überraschend, dass Tatjana in Verwirrung geriet und nicht wusste, was sie antworten sollte.
»Ich . . . ich
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