Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anathem: Roman

Anathem: Roman

Titel: Anathem: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neal Stephenson
Vom Netzwerk:
Nebenprodukte freigesetzt hatten, die auf den Fenstern des Raumschiffs gefroren waren. »Man sollte doch meinen, dass sie dieses Problem gelöst hätten«, sagte ich. »Sie haben es in aller Eile gebaut«, antwortete er.
    Ein perfekter Kreis, in einem perfekten gleichseitigen Dreieck zentriert, beherrschte das Bild. »Es ist das hintere Ende des außerarbrischen Raumschiffs«, erklärte Sammann. »Die Schubplatte auf der Rückseite. Sie haben sie die ganze Zeit auf die Kapsel gerichtet – was hältst du davon?«
    Nach kurzer Überlegung wagte ich einen Vorstoß: »Sie – die Cousins – konnten nicht ausschließen, dass unsere Kapsel mit einem Atomsprengkopf ausgerüstet war. Deshalb wendeten sie ihr die gegen Atomwaffen gesicherte Seite ihres Raumschiffs zu.«
    »Das ist ein Teil der Erklärung«, sagte Sammann mit einem gemeinen Grinsen – was mich anstachelte.
    »Sie konnten jederzeit eine ihrer eigenen Atomwaffen hinten aus diesem Ding ausspucken und die Raumkapsel in die Luft jagen.«
    »Genauso ist es. Außerdem haben wir aus diesem Blickwinkel keine gute Sicht auf ihr Raumschiff. Keine Möglichkeit, geheime militärische Informationen zu sammeln.«
    »Wo ist das Loch, aus dem die Atomwaffen rauskommen?«, fragte ich.
    »Such es erst gar nicht. Du kannst es nicht sehen. Im Verhältnis zum Ausmaß der Platte ist es winzig. Solange es nicht gebraucht wird, ist es durch eine Klappe verschlossen. Sehen kannst du es erst, wenn es sich öffnet.«
    »Es wird sich öffnen!?«
    »Am besten schauen wir uns einfach den Spulo an.« Sammann
streckte die Hand aus und drehte die Lautstärke ein wenig auf. Der Soundtrack war ein Tosen von Umgebungsgeräuschen: ein Zischen, Surren, Summen und Brummen in vielen verschiedenen Tonhöhen. Hin und wieder hörte man ein Wort oder einen Satz, von Menschen über das Tosen hinweggerufen, aber die Leute sprachen wenig, und wenn, dann meistens in einem knappen Militärjargon.
    »Unidentifiziertes Flugobjekt«, sagte jemand, »zwei Uhr.«
    Das Bild drehte sich und wurde herangezoomt, wodurch das große Dreieck sich ausdehnte, bis seine Kanten zu geraden Trennlinien zwischen Weiß und Schwarz geworden waren. In dem schwarzen Teil wurde ein grauer Klecks erkennbar: ein Durcheinander von Pixels, das ein paar Nuancen heller als schwarz war. Es wurde jedoch heller und größer. »Anfliegend«, bestätigte jemand.
    In die dunkle Geräuschkulisse mischten sich neue Obertöne. Leute unterhielten sich. Mir war, als hörte ich den Tonfall eines Satzes in Orth.
    »Fertigmachen zum Ausstieg!«, befahl eine Stimme, die es ernst zu meinen schien. Zum ersten Mal wendete der Spulocorder sich von dem Fenster ab und fokussierte neu, um das Innere der Raumkapsel zu zeigen. Dieser Anblick war nach der unendlich langen, eintönigen Aufnahme der Schubplatte erschreckend kontrastreich, klar und farbig. Mehrere Leute schwebten in einem engen Raum umher. Manche waren an Stühlen vor Steuerpulten festgeschnallt. Manche hielten sich an Griffen fest, um ihre Gesichter besser an die Fenster drücken zu können. Einer von ihnen war eindeutig Jesry. In der Mitte der Kapsel befand sich der dicke Mann mit der Frisur. Er sah nicht gut aus. Aufgrund der Schwerelosigkeit spielten seine Haare verrückt. Sein Gesicht war geschwollen und grünlich; man merkte ihm an, dass ihm übel war. Er sah müde und gleichgültig aus – vielleicht von Medikamenten gegen Übelkeit? Seine eindrucksvollen Kleider waren weg, wodurch alle möglichen Aspekte seines Körperbaus zutage traten, die eigentlich niemanden außer seinem Arzt etwas angingen. Zwei Leute mühten sich damit ab, ihn in einen absonderlichen Anzug zu stecken, der aus einem Netzwerk von Röhren in einer Matrix aus dehnbarem Gewebe bestand. Wie es aussah, beschäftigte dieses Projekt sie schon eine Weile, aber in diesem Moment kamen sie auf Hochtouren, und ein anderer stieß sich von einem Fenster ab und flog hinüber, um ihnen zu helfen, die Ankleideprozedur mit einem Ruck zu vollenden. Der Himmelswart
(ich wusste nicht mit Sicherheit, dass er es war, aber es erschien mir unverkennbar) wurde immerhin so wach, dass er sich entrüsten konnte. Er starrte wütend die Kamera an und hob einen Finger. Einer seiner Gehilfen schwebte in eine Position ein, die die Sicht versperrte, und sagte: »Bitte gebt Seiner Durchlaucht etwas …«
    »Etwas Durchlauchtigkeit?«, scherzte Jesry im Off.
    Es kam zu einem gereizten Wortwechsel. Die gebieterische Stimme befahl ihnen, den Mund zu

Weitere Kostenlose Bücher