Anatomie einer Affäre: Roman
Liebespuzzles, die wir dort hinterließen, erschienen umso lieblicher und schmerzlicher, je abstrakter sie waren. Wie eines Abends in der Dämmerung auf dem bloßen Laken, als ich mich in Löffelstellung an seinen Rücken schmiegte und prüfend den Kopf hob, um in seine Augen zu blicken, in denen die Unmöglichkeit des Ganzen loderte.
Denke ich an jene Hotelzimmer, so sehe ich sie vor mir, nachdem wir gegangen waren und nur die Luft wusste, was wir getan hatten. Die Tür fiel so leicht hinter uns zu; die Umrisse unserer Liebe im Zimmer waren wie eine schöne Musik, die verklungen und vergessen ist.
Nachdem wir uns geliebt hatten – was wir immer als Erstes taten, fast aus Angst davor, Freunde zu werden –, erzählte mir Seán anschließend, wenn es ungefährlich war, aus seinem Leben, und ich hörte interessiert zu und betrachtete ihn, wie er neben mir lag, ganz benommen von all den Details. Zum Beispiel von seinem Mundwinkel, dem exakten Sitz seines Charmes. Hier geschah es: an dem Punkt, wo seine Unterlippe sich von seiner Oberlippe löste, der genaue Winkel – ich hatte ihn geküsst –, in dem sie sich trennten und wieder trafen. Der Charme eines langsam aufsteigenden Lächelns, das einem umso mehr gefällt, je weniger man ihm vertraut.
Seán sprach nicht über Evie oder über seine Frau. Er erwähnte weder das Haus in Enniskerry noch das Haus in Ballymoney mit Blick auf den Strand, doch über alles andere redete er gern. Allzu gern. Seán liebt es, zu plaudern, und ich liebe es, zu plaudern, und es gab Zeiten, wo wir uns bremsen mussten, weil wir zu gut miteinander auskamen. Niemandem (das wussten wir beide) war damit geholfen, dass wir es uns auf diese Weise gut gehen ließen.
Wir blieben bis zum Einbruch der Dunkelheit, und die Dunkelheit brach jedes Mal später herein.
Seán erzählte mir, als Junge habe er einen Irish Red Setter gehabt, der Eier aus einem nahen Hühnerstall stibitzte und dessen Maul so weich war, dass er nach Hause laufen konnte, ohne die Schale zu zerbrechen.
Für seinen MBA war Seán nach Boston gegangen. Zwei Jahre in Amerika würden einen zum lebenslangen Außenseiter machen, sagte er; es sei merkwürdig gewesen, wieder nach Hause zu kommen – als kehre man an einem schönen Herbsttag von einem langen Spaziergang zurück, und alle anderen kauern noch immer um den Kamin.
Er erzählte mir von seiner Familie: ein älterer Bruder, der ihm aus einem nicht näher benannten Grund auf die Nerven ging – er habe diesen Bruder ohnehin hoffnungslos abgehängt, was ihn ein wenig traurig stimme. Gewinnen war für Seán eine einsame Beschäftigung – obwohl ihn das nicht abzuhalten schien. Der Bruder war Lehrer und behauptete, Seán sei ein Snob. Seán sagte, er sei alles andere als das – seiner Ansicht nach war Snobismus schlecht fürs Geschäft. Trotzdem ließ sein Bruder Bemerkungen fallen wie Na, wie geht’s der grauenvollen Mittelschicht? und lieh sich Dinge, die er nie zurückgab: DVD-Sets, einen gusseisernen Kochtopf, eine Schwimmweste vom Kajak in Ballymoney. Wie ich später, als ich ihn endlich kennenlernte, herausfand, war der Bruder außerdem eins neunzig groß und verfügte über ein Lächeln, das sich nicht nur auf einer, sondern auch auf der anderen Seite des Mundes kräuselte. Er war Seán in Übergröße und trotzdem sanft. Als er mich auf seine liebenswürdig-enttäuschte Art ansah, glaubte ich, dass jetzt der geeignete Zeitpunkt gekommen wäre, das erstbeste Kloster anzustreben, falls es dergleichen noch gab, und den Schleier zu nehmen – ich meine auf den Knien meines Herzens: Der Mann war so sexy, dass es bei ihm kein Zurück mehr gegeben hätte.
Wie auch immer. Seán zufolge war da noch dieser unnütze ältere Bruder mit den billigen Jacken und der fetten Frau. Sodann eine heiß geliebte jüngere Schwester, die als Künstlerin in Kilkenny lebte. Außerdem gab es einen Vater, der seit einigen Jahren tot, und eine Mutter, die äußerst lebendig war. Schwer zu sagen, worin das Problem mit der Mutter bestand, doch so wie es aussah, war der falsche Elternteil gestorben. Wenn man Seán zuhörte, konnte man den Eindruck gewinnen, sie habe den Tod ihres Mannes herbeigeführt, habe ihm etwas in den Tee gekippt oder ein Kissen auf das schlafende Gesicht gedrückt. Ihre bloße Existenz hatte ausgereicht, den Mann vorzeitig unter die Erde zu bringen.
Und das war interessant, denn für die Moynihan-Mädchen – und dies war unser kleines schmutziges Geheimnis – war genau
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