Anatomie einer Affäre: Roman
eines Ehebrechers sie fürs Leben zeichnen.
Wieder senkte sich eine fantastische Stille herab. Eine Woche lang, vielleicht zwei, wartete ich darauf, dass Seán anrief, dass Aileen auf meiner Türschwelle stand, dass Conor am Schreibtisch weinend den Kopf in die Hände legte. Nichts von alledem geschah. Eines Abends nach der Arbeit ging ich zum Haus in Terenure und schlief auf dem Sofa ein. Mitten in der Nacht stand ich auf und ging nach oben, zu dem Bett, in dem wir uns zuletzt geliebt hatten, und seitdem schlafe ich nur noch dort.
Als ich erwachte, war der Himmel voller Regen, und ich lieh mir von meiner toten Mutter einen Schirm, um mit dem Bus in die Stadt zu fahren – der gleiche Bus, mit dem ich schon als Teenager gefahren war –, denn es war kein Taxi in Sicht. Ich stieg aufs Oberdeck. Die Fenster waren beschlagen, und in der Luft hing der Geruch nasser Pendler: abgestandenes Leben, Morgenseife, die Vergnügungen vom Vorabend. Seit Jahren war ich nicht mehr Bus gefahren. Und es gefiel mir. Es gefiel mir, von dieser Kindheitshöhe auf all die neu gestalteten Gärten mit ihren Steinplatten und großen Übertöpfen hinabzuschauen, auf die Blumenkästen entlang der Rathgar Road und auf die Autos, die den Kies bewachten. Auch die Fahrgäste hatten sich verändert. Sie hatten flippige Frisuren und bessere Kleidung und waren alle in irgendetwas eingestöpselt, simsten oder lauschten in ihre Kopfhörer. Erst als wir den Kanal überquert hatten, bemerkte ich, dass keiner von ihnen Englisch sprach, und auch das gefiel mir. Ich hatte das Gefühl, als führen wir in einem Zauberbus, und keiner wusste, wohin die Reise ging.
Conor versuchte den ganzen Tag über immer wieder, mich zu erreichen, aber ich ging nicht ans Telefon. Ich legte die Beine auf den Schreibtisch und studierte die Stellenanzeigen in den Zeitungen. Unterschätzt und übergangen: Rathlin Communications hatte ich gründlich satt. Um vier Uhr nachmittags hörte es auf zu klingeln.
Er hatte Fiona angerufen.
Die nächsten paar Tage waren mit Geschrei angefüllt. Mit einer Menge Klischees. Es hatte den Anschein, als würde alles gesagt. Ich meine alles, von allen. Das Ganze fühlte sich an wie ein einziger Satz; ein Satz, den Sie sich gebellt, gezischt, mit Lippenstift auf den Badezimmerspiegel gekritzelt vorstellen können. Sie könnten ihn in Ihre Haut ritzen; Sie könnten ihn auf einen bescheuerten Grabstein meißeln. Und nicht ein Wort davon war von Belang. Nicht ein einziges idiotisches Wort.
Du hast nie.
Ich habe immer.
Die Sache mit dir ist .
Eigentlich, glaube ich, hat es allen Spaß gemacht. Fiona mehr als allen anderen. Lieber Himmel, wie die Anschuldigungen umherflogen.
»Ich bin froh, dass sie tot ist. Ich bin froh, dass unsere Mutter tot ist und das nicht miterleben muss.«
Und: »Glaubst du etwa, er liebt dich? Glaubst du etwa, er macht sich was aus dir?«
»Ja«, sagte ich. »Das glaube ich in der Tat.«
Mehr sagte ich nicht. Ich sagte ihr nicht, sie solle sich zu ihrer Pappnase von Ehemann verpissen, der sich nach seiner freitagabendlichen Flasche Wein auf sie drauf- und dann wieder von ihr herunterwälzt. Wenn sie das Liebe nennt. Sich zu fragen, ob er schon gekommen ist und wie viel es kosten würde, ein Pferd in einem Mietstall unterzubringen, wie die Frau weiter unten in der Straße es gemacht hat. Nichts davon habe ich meiner Schwester gesagt. Mit ansehen zu müssen, wie sie zu Mittelmaß und Mutterschaft abgerichtet wurde, erst ihr Körper, dann ihr Geist – oder hat es ihren Geist zuerst erwischt, manchmal lässt sich das nur schwer entwirren –, und dass sie dann auch noch hingeht und behauptet, abgerichtet sei am besten. Ich habe ihr nicht gesagt, wie maßlos wütend mich das macht.
Wir saßen im Wohnzimmer des Hauses in Terenure. Dort war es einfach, zu schreien. Als wären wir wieder zwölf.
Ich sagte: »Du bist ein Tugendbold. Du bist ein beschissener Tugendbold, und das warst du schon immer. Das hier ist etwas für mich, Fiona. Begreifst du das? Es hat nichts mit dir zu schaffen.«
Während all dieser Auseinandersetzungen blieb unsere Mutter tot. Erstaunlicherweise. Bei jedem Wutanfall und jedem Schweigen war sie tot. Und sie war auch dann noch tot, als wir am nächsten Morgen erwachten und uns wieder einfiel, was gesagt worden war.
Und natürlich ist man nicht zwölf. Und bereut alles. Alles. Jedes Wort, das man gesagt hat. Die Tatsache, dass Menschen die Kunst des Sprechens erlernt haben – auch das bereut
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