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Anatomie einer Affäre: Roman

Anatomie einer Affäre: Roman

Titel: Anatomie einer Affäre: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Enright , Hans-Christian Oeser , Petra Kindler
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zu stecken, und verwarf auch diesen Plan. Dann wählte sie meine Nummer und sagte: »Ich kann es nicht fassen, dass du mir das angetan hast.«
    »Wie bitte?«
    »Ich kann es nicht fassen, dass du das getan hast. Wie soll ich ihnen jetzt noch ins Gesicht sehen? Wie soll ich seiner Frau ins Gesicht sehen?«
    Alles dies aus ihrem geparkten Wagen heraus, auf der Straße vor seinem Haus: der gedeckelte Zorn meiner Schwester.
    »Wie soll ich ihr ins Gesicht sehen?«
    »Wem ins Gesicht sehen?«, fragte ich.
    Und so führten wir uns eine Weile lang auf – wie Eheleute, die sich anschreien und belügen.
    »Ich kann es nicht fassen, dass du mir das angetan hast.«
    »Ich habe es nicht dir angetan«, sagte ich. »Es hat nichts mit dir zu tun.«
    Doch wie sich herausstellte, hatte ich es allen angetan. Die ganze Welt war über mich empört und erschüttert von meinem Verhalten. Die gesamte Dubliner Bevölkerung fühlte sich kompromittiert, und zwar in höchstem Maße.
    Fiachra zum Beispiel hatte es »schon immer gewusst«. Er hatte es noch vor mir gewusst. »Ich bin in ihn verliebt«, sagte ich im Hinterzimmer von Ron Blacks nach zu vielen Gin Tonics. Und Fiachra wartete einen winzigen, unentschuldbaren Augenblick lang, bevor er sagte:
    »Natürlich bist du das.«
    Aber es war das erste Mal, dass ich diesen Satz ausgesprochen hatte, und vielleicht war er schon immer wahr gewesen, doch in diesem Moment wurde er erst richtig wahr. Wahr wie eine Entdeckung, die man gemacht hat. Ich liebte ihn. In dem Geschrei, das folgte, in dem Schweigen, dem Tratsch (unglaublichen Mengen an Tratsch) gab es eins, woran ich festhielt, die Vorstellung, die Tatsache, dass ich Seán Vallely liebte – und so trug ich den Kopf stolz erhoben, auch wenn ich vor Scham glühte. Buchstäblich glühte.
    Ich liebe ihn .
    Es war etwas, das ich in die langen Pausen hineinsprechen konnte – denn obgleich es sich anfühlte, als würde alles Mögliche geschehen, geschah doch lange Zeit nichts. Außer dass ich verliebt war – das geschah unentwegt und intensiv.
    Ich liebe ihn . Dumpf, wie ein Schmerz, wenn niemand anrief; erregend, wie ein Weckruf, wenn ich mit meiner Schwester stritt. Ich liebe ihn! Und dann wie ein Schlag in die Magengrube, als eines Tages seine Frau anrief und mir vorschlug: »Können wir miteinander reden?«, und ich hinausfuhr und sie hinter der alten Glasscheibe des Hauses in Enniskerry stehen sah, bis ich wieder den Gang einlegte und davonfuhr.
    »Kümmere dich nicht um sie«, sagte Seán. »Ich weiß genau, was sie tut. Kümmere dich nicht um sie. Du weißt nicht, wie sie tickt.«
    Aber ich empfand nur Mitleid mit ihr – mit dieser Frau, die sich weigerte, die Wahrheit anzuerkennen. Ich musste mir in Erinnerung rufen, dass dies etwas zwischen mir und Seán war, nicht zwischen mir und Aileen. In einem anderen Leben hätte ich sie womöglich gemocht oder gehasst. Reiner Zufall, dass sie nicht mein Typ war.
    Aber das alles geschah viel später – Monate später. Nach jenem ersten Anruf, Ich kann es nicht fassen, dass du mir das angetan hast , tat Fiona eine Woche lang nichts. Ich machte weiter wie gehabt, Seán machte weiter wie gehabt, und keiner sprach mit irgendwem, während wir darauf warteten, dass das Beil fiel.
    Ich lief umher und dachte: Es wird enden , und Es wird enden , wenn ich in Clonskeagh das Geschirr einräumte oder die Nachttischlampe ausknipste. Ich küsste Conor, während er schlief, und kam mir bereits töricht vor, wenn ich mich über seinen reglosen, traumlosen Kopf beugte. Das alles war zu melodramatisch und zu lächerlich. Vielleicht würde das Beil ja gar nicht fallen, vielleicht würden wir weitermachen wie bisher. Obgleich mir Conor inzwischen nicht mehr so gut gefiel; mir gefiel der Schlafgeruch seines Atems nicht.
    Am Samstagmorgen erhielt Seán einen Anruf von Shay, der ihn bat, bei ihm vorbeizukommen. Hinterher, als er die Auffahrt hinunterging, rief er mich an.
    »Was hat er gesagt?«
    »Nicht viel.«
    Mein beklagenswerter, schulterklopfender Schwager war ganz er selbst gewesen. Er hatte Seán in die Küche geführt, ihm die Briefe über den Tisch geschoben und gesagt: »Den Scheck kannst du sicher noch gebrauchen.«
    »War Fiona da?«
    »Nein.«
    Anscheinend hatte Fiona die Kinder fortgeschafft. Seán hörte sich etwas mitgenommen an, als er das sagte, und ich konnte mir die feinfühlige Art vorstellen, wie Shay es formuliert hatte: Fiona, die ihre Kinder in den Wagen verfrachtet, als könne der Anblick

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