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anderbookz Short Story Compilation II

anderbookz Short Story Compilation II

Titel: anderbookz Short Story Compilation II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joyce Carol Oates , Peter Straub , Jewelle Gomez , Thomas M. Disch , Ian Watson , Robert Silverberg
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an Rücken mit dem Elisabethaner gegen die Bürger stehen zu können, aber jetzt sah er ein, daß das unmöglich war. Er hatte die Sache gründlich verpfuscht, oder besser gesagt, es war ihm nicht gelungen, Willoughby dazu zu bringen, die Wahrheit über seine mißliche Lage zu erfassen.
    In der erstickenden Hitze lief er aufs Geratewohl durch das Wirrwarr der überfüllten Gassen, zwischen fensterlosen Häusern mit flachen Dächern und glatten, schmucklosen Wänden entlang, bis er auf einem großen Marktplatz herauskam. Das Leben in der Stadt brandete tobend um ihn herum, dieses Pseudo-Leben, diese miteinander verwobenen Wechselbeziehungen von Tausenden von Temporären, die nichts anderes waren als in Bewegung gesetzte, aufgezogene Puppen. Sie erzeugten die Illusion, daß das prä-vedische Indien immer noch lebendig war. Händler verkauften wunderschöne kleine Steinsiegel, auf denen Tiger, Affen und fremdartige Buckelrinder abgebildet waren; Frauen feilschten kreischend mit Handwerkern um Schmuck aus Elfenbein, Gold, Kupfer und Bronze. Hinter riesigen Stapeln von neuen, rosaroten Tongefäßen, die mit schwarzen Mustern verziert waren, hockten müde aussehende Frauen. Niemand achtete auf ihn. Er war ein Außenseiter, weder Bürger noch Temporäre. Sie gehörten hier hin.
    Er setzte seinen Weg fort, vorbei an den gewaltigen Kornspeichern, wo Arbeiter ohne Pause Karren voller Weizen entluden und wieder andere auf großen, runden Ziegelplattformen Korn mahlten. Er schlenderte in ein öffentliches Restaurant, in dem sich freudlos wirkende schweigsame Menschen drängten, die dicht an dicht vor kleinen gemauerten Ladentischen standen. Er bekam ein flaches, rundes Stück Brot, eine Art Tortilla oder Chapatti, mit gewürztem Hackfleisch gefüllt, das auf seinen Lippen wie Feuer brannte. Dann setzte er seinen Weg fort, eine breite, flache, gezimmerte Treppe hinunter, die in den tiefergelegenen Teil der Stadt führte, wo die Bauern in zellenartigen Räumen zusammengepfercht hausten wie in einem Bienenstock.
    Es war eine bedrückende Stadt, aber keine Stadt des Elends. Das Ausmaß der sanitären Anlagen erstaunte ihn: Überall gab es Brunnen und Fontänen und öffentliche Toiletten und gemauerte Abflüsse, die von jedem Gebäude wegführten und in geschlossenen Senkgruben endeten. Nirgends gab es die frei fließenden Abwässer und verpesteten Gossen, die, wie er wußte, im Indien seiner Zeit noch anzutreffen waren. Er fragte sich, ob das alte Mohenjo-daro tatsächlich so anspruchsvoll gewesen war. Vielleicht hatten die Bürger die Stadt neu gestaltet, damit sie ihren eigenen Idealvorstellungen von Sauberkeit entsprach. Nein, höchstwahrscheinlich war das, was er hier sah, authentisch, eine Auswirkung der gleichen besessenen Disziplin, die der Stadt ihre starre Form gegeben hatte. Wäre Mohenjo-daro ein schmutziges, verlaustes Loch gewesen, hätten es die Bürger vermutlich genauso wieder erbaut und es wegen des faszinierenden, stinkenden Drecks geliebt.
    Nicht, daß er je ein ausgeprägtes Bemühen um Authentizität bei den Bürgern entdeckt hätte, und Mohenjo-daro, wie all die anderen Städte, die er bereits besucht hatte, war voll der üblichen, beiläufigen Anachronismen. Phillips fand gelegentlich Abbildungen von Shiva und Krishna auf den Wänden der Gebäude, die er für Tempel hielt, und das gütige Antlitz der Muttergottheit Kali war auf den Plätzen undeutlich zu erkennen. Mit Sicherheit waren diese Götter in Indien erst lange nach dem Zusammenbruch der Zivilisation von Mohenjo-daro aufgekommen. Standen sie derartigen chronologischen Problemen gleichgültig gegenüber, oder hatten sie eine diebische Freude daran, die Zeitalter durcheinanderzubringen? Eine Moschee und eine Kirche im griechischen Alexandrien und Hindugötter im prähistorischen Mohenjo-daro? Vielleicht waren auch ihre Überlieferungen über die Vergangenheit durch die Jahrtausende hindurch fehlerhaft geworden. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn sie Banner mit den Porträts von Gandhi und Nehru auf Prozessionen durch die Straßen getragen hätten. Und auch hier gab es Trugbilder und Schimären in großer Zahl, als wären die Bürger nicht von der Grenze zwischen Geschichte und Mythologie belastet; kleine, dicke, elefantenköpfige Ganeshas badeten in Springbrunnen, eine sechsarmige, dreiköpfige Frau sonnte sich auf einer Ziegelterrasse. Warum nicht? Das war augenscheinlich das Motto dieser Menschen. Warum nicht, warum nicht? Sie konnten tun, was sie

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