Angel 01 - Die Engel
Ist er weniger böse als ein Dämon, der das Gleiche tut? Ich behaupte, er ist sogar böser, weil er eigentlich der Wächter des Guten sein und die Prinzipien dessen aufrechterhalten sollte, was richtig ist. Ein Engel, der Amok läuft, ist wie ein bestechlicher Cop, er missbraucht das Vertrauen, das in ihn gesetzt wird. Von einem Dämon oder einem Kriminellen erwartet man nicht, dass man ihm vertrauen kann; sie versprechen nichts dergleichen. Aber ein Engel und ein Cop versprechen, das Böse zu bekämpfen, nicht, mit ihm gemeinsame Sache zu machen. Bei Engeln und Cops lässt unsere Wachsamkeit nach, weil wir von ihnen erwarten, dass sie vertrauenswürdig sind, und wenn sie dieses Vertrauen missbrauchen, sind sie nicht genauso schlimm wie Dämonen und Verbrecher, sondern schlimmer.«
Vanessa sah lächelnd zu Boden.
» Vielen Dank für diesen Beitrag, Sergeant.«
» Gern geschehen.«
Vanessa drehte sich zu Fusselbart um. » John, das hier ist Dave Peters, der Polizist, von dem ich Ihnen erzählt habe.«
Fusselbart wurde rot und schob nervös ein Buch in die Sporttasche unter seinem Tisch.
» Angenehm«, krächzte er.
» Ebenso«, erwiderte Dave.
» Okay«, sagte Vanessa laut und schaute auf ihre Armbanduhr. » Wir haben nur noch fünf Minuten bis zur Pause. Sie können jetzt gehen, wenn Sie leise sind. Wecken Sie Jefferson nicht auf«, sie deutete mit dem Kopf auf den schlafenden fetten Studenten, » wir wollen seine Träume nicht stören.«
Die Studenten sammelten leise ihre Bücher ein und gingen zur Tür. Fusselbart war als Erster draußen und warf Dave noch einen ängstlichen Blick zu, bevor er im Gang verschwand.
Als außer Dornröschen alle weg waren, fragte Dave: » Was war das denn?«
» Was?«
» Der Junge mit dem Dreck am Kinn. Hat er dir unter den Rock gefasst, oder was?«
» Du hast eine sehr einseitige Fantasie, Dave Peters. Er ist einfach nur eine Nervensäge, also habe ich ihm mit dem Schwarzen Mann gedroht, falls er sich nicht zusammenreißt. Und du bist eben der Schwarze Mann.«
» Na, vielen Dank auch.«
» Keine Ursache. Eigentlich ist das ein sehr cleverer Junge, aber er hat ein Problem mit seiner Einstellung. Ich hasse besserwisserische kleine Spinner, die der festen Überzeugung sind, ihr Gehirn habe den Durchmesser unseres Planeten.«
» Dann hättest du mich auch gehasst, als ich noch ein Frischling bei der Polizei war.«
Sie lächelte.
» Schätzungsweise. Aber egal, was verschafft mir diese Ehre? Du bist noch nie hierhergekommen. Und dann auch noch um zehn Uhr morgens?«
» Rita ist tot.«
Ihr Lächeln verblasste.
» Oh, nein. Was ist passiert?«
» Danny ist fest davon überzeugt, dass es der Engel war. Er zieht die Schlinge zu, und du könntest die Nächste sein. Ich bin gekommen, um dich abzuholen.«
Die Beerdigung war eine triste Angelegenheit. Passenderweise fand sie an einem düsteren, verregneten Nachmittag statt. Der Priester war ein großer, hagerer Mann, der sich ständig vorbeugte, während er sprach, so dass er im Takt der Worte auf- und abwippte. Sein Ton war streng, fast verdammend, während er Ritas Leistungen und Vorzüge aufzählte, die Danny ihm genannt hatte.
Ritas Mutter kam aus L.A., in schwarzem Kleid mit schwarzen Handschuhen: eine plumpe Frau, die aus ihrer Unterwäsche quoll. Vanessa konnte sehen, wie die stützenden Wäschestücke geometrische Muster in das Kleid drückten. Ihr Make-up entsprach dem Trend der Sechziger: heller Lippenstift und viel Mascara. Sie hatte dicke Tränensäcke, und ihre Wangen hingen schlaff herunter. Sie sprach in gedämpftem Ton mit Vanessa, die sie für die beste Freundin ihrer Tochter hielt, und ihr Blick verriet, wie beeindruckt sie war, als sie erfuhr, dass Vanessa Collegeprofessorin war.
» Rita hat sich immer mit anständigen Menschen umgeben«, erklärte sie und drückte Vanessas Hand. Das sollte ein Kompliment sein, sowohl für sie selbst als auch für Vanessa. Immerhin rechnete sie es sich an, ihre Tochter richtig erzogen zu haben.
Sie blieb nur lange genug, um zu sehen, wie der Sarg unter der Erde verschwand. Sie schniefte sich durch die Messe, spielte mit einem kleinen Spitzentaschentuch und nickte bestätigend, als der Priester erwähnte, was für eine gute Tochter Rita gewesen sei.
» Sie hat mir immer Geld geschickt, wissen Sie«, flüsterte sie Vanessa zu, » und immer so liebe Briefe geschrieben.«
Die Mutter lehnte Dannys Angebot, sie zum Essen einzuladen ab; irgendwie schien sie ihn zu
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