Angel 01 - Die Engel
zwischen den Stäben des Eisenzauns. Rajebs langes schwarzes Haar flatterte in seinem Nacken und streifte seinen Hemdkragen. Es war einer der Tage, an denen ein Abschied sich noch melancholischer gestaltete als sonst. Aus einer Welt ohne Sonne war eine finstere Trübsinnigkeit herangezogen, hing nun über der Erde und verunreinigte die Atmosphäre, machte sie schwer und schmutzig wie der Rauch aus einer Dampflok.
Rajeb war sich nicht zu schade dafür, sich wilden Rachefantasien hinzugeben. Seine Vorfahren hatten einem wilden Volksstamm angehört, der Blutfehden für ehrenvoll und richtig gehalten hatte. Sie wären bereit gewesen, einen Menschen zu töten, wenn er nur auf ihren Schatten trat oder ihre Frauen zu lange ansah. Zwei Generationen hatten nicht ausgereicht, um das kämpferische Naturell seiner Großväter ganz aus Rajebs Blut herauszufiltern. Selbst als er noch ein kleiner Junge gewesen war, hatte ihm sein Temperament auf den Spielplätzen von London Respekt eingebracht und den Terrorkids und Rassisten klargemacht, dass man ihm besser aus dem Weg ging.
Die Blumen, die er auf das Grab gelegt hatte, waren weiße Rosen, Symbol der Reinheit und Unschuld. Rajeb verbitterte der Gedanke, dass Daphne sich in einem Netz verstrickt hatte, das von seiner Arbeit geschaffen worden war. Wäre sie nicht die Freundin von Rajeb Patel gewesen, wäre sie nicht gestorben. Jetzt durchschaute er Manovitchs Plan, der ihn aus dem Weg schaffen wollte, indem er ihn durch die Trauer lähmte. Tja, bis zu einem gewissen Grad hatte es funktioniert, aber jetzt war die Zeit der Tränen vorbei und der Moment gekommen, um zu handeln. Rajeb wollte, dass die Gates-Manovitch-Kreatur zerstört wurde, und er wollte selbst daran beteiligt sein.
Als er eine Bewegung am anderen Ende des Friedhofs wahrnahm, schaute Rajeb hoch. Dort stand eine düstere Gestalt. Jemand, den er kannte. Die Gestalt schob sich zwischen den Grabsteinen durch und kam auf ihn zu, wobei sie sorgfältig darauf achtete, auf keinen der Grabhügel zu treten.
Überrascht fragte Rajeb: » Herr Erzdiakon?«
» Ich bin nur gekommen, um ihr meinen Respekt zu zollen«, erklärte Lloyd ernst. Er schwieg einen Moment und starrte auf die frisch aufgeworfene Erde. » Schon seltsam, was wir für Ausdrücke benutzen. Respekt. Ich habe sie schließlich kaum gekannt, warum sollte ich ihr also Respekt zollen, wenn sie tot ist? Vielleicht …« Er sah Rajeb prüfend an. » … vielleicht liegt es daran, dass ich Sie respektiere und die Verstorbene deshalb für eine Person halte, bei der Integrität und Ehrgefühl stark ausgeprägt waren. Ich kann diese Wesenszüge in Ihnen erkennen, Rajeb, und gehe deshalb davon aus, dass Daphne ebenfalls über sie verfügte. Liege ich damit richtig?«
Rajeb starrte weiter auf Daphnes Grab. » Ich weiß nicht.«
» Ich denke schon, dass ich damit Recht habe«, sagte Lloyd. » Das sind gute Eigenschaften für einen Menschen, insbesondere für einen Polizisten. In Ihrem Beruf – und in meinem auch – ist es so leicht, sich korrumpieren zu lassen. Nicht unbedingt durch Geldgier, aber durch die Natur der Arbeit an sich. Polizisten haben es so oft mit der schäbigen Seite des Lebens zu tun, dass sie leicht auf den Gedanken verfallen können, dass die ganze Welt so ist … dass es keine anständigen Menschen mehr gibt, und dass es besser ist, irgendeine Verurteilung zu erwirken als gar keine, selbst wenn dann ein Unschuldiger für die Verbrechen eines anderen büßen muss. Regelmäßiger Kontakt mit schlechten Menschen kann die Vorstellung schaffen, dass alle schlecht sind und es deswegen ganz egal ist, wer für ein Verbrechen bestraft wird. Aber das ist meiner Meinung nach eine falsche Vorstellung.«
» Was versuchen Sie mir zu sagen, Mr. Smith?«
Lloyd seufzte. » Ich denke, ich sehe in Ihnen einen guten Polizisten, einen guten Ermittler. Und das Gute in Ihnen muss bewahrt werden. Lassen Sie nicht zu, dass diese Tragödie Sie durch Verbitterung verändert. Sie sind zu jung, um von der Verderbtheit solcher Wesen wie Manovitch befleckt zu werden.«
Rajeb duckte sich in seinen Mantel. » Ich will sehen, wie er zerstört wird, Mr. Smith. Ich würde auch gerne sehen, wie er leidet, aber ich glaube nicht, dass das passieren wird. Aber so oder so will ich sehen, wie er verbrennt.«
» Das ist ganz natürlich, aber belassen Sie es dann auch dabei. Sobald er verschwunden ist, müssen Sie die Sache hinter sich lassen. Fangen Sie nicht an, ihn auch in anderen
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