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Angelique Der Gefangene von Notre Dame

Titel: Angelique Der Gefangene von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Golon Anne
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in Frieden lassen.
    Kommt her auf den Pont-Neuf, ihr Leut’
die reinste Bühne ist es heut’.
Hier sind die Quacksalber mit ihren Verbänden
die Zähne euch ziehen mit ihr’n flinken Händen.
Zu kaufen gibt’s Bücher, auch Spielzeug und Mieder,
die Sänger euch singen die neuesten Lieder.
    Aber jetzt ist es Nacht, und die Sänger haben den Ort dem Bettelvolk überlassen. Claude Le Petit sieht Calembredaine vorbeikommen, zerlumpt und schrecklich anzusehen in seiner fürchterlichen Verkleidung, mit dem verfilzten Haar und der violetten Geschwulst, die er sich immer auf die Wange klebt. Ihm folgen seine Leutnants und Kamesierer, seine »Marquisen« und seine Dirnen: Wehe den Bürgern, die sich heute Nacht in den Pariser Straßen verspäten!
    O Paris bei Nacht, Stadt der Freuden für die Diebe, die Mäntel rauben, Börsen abschneiden, Spaziergänger verprügeln und
ermorden, Stadt der Freuden für die liederlichen Kerle, die Arm in Arm singend aus den Schenken und Bordellen torkeln.
    Paris bei Nacht, wenn die Räuber freudig und frei zu den Fenstern hinaufsteigen, mit ihren Haken die Schlösser öffnen und alles mitnehmen, was ihnen in die Hände fällt.
    Ganz in der Nähe fallen Messerstecher über einen entwaffneten Mann her. Ein anderer verteidigt sich mit dem Schwert, allein gegen vier gedungene Mörder.
    Der Poet vom Pont-Neuf hört und erkennt die geliebten Geräusche seiner nächtlichen Stadt: den Pfiff der Diebe, das Klirren der Schwerter, das Krakeelen der Betrunkenen, die Klagen der Unglücklichen, die gerade ermordet werden, die Hilfeschreie … und er lächelt angesichts der finsteren Mischung, aus der hin und wieder die schrille Stimme eines Oblaten- oder Tabakverkäufers hervorsticht, dem ungerührten Zeugen oder vielleicht auch Komplizen dieser Verbrechen.
    Aber es ist wirklich nicht warm. Ein scharfer Wind weht von der Seine herauf. Claude Le Petit gleitet von seinem sicheren Ausguck herunter. Er wird ein wenig um die Wirtshäuser herumstreichen und die köstlichen Düfte der Bratküchen genießen.
    Â 
    Die Bratküchen liegen in der Rue de la Vallée-de-Misère. Auch zu dieser späten Stunde brennen hier noch alle Lichter, und die mit brutzelndem Geflügel gespickten Spieße drehen sich im Hintergrund der Schenken.
    Nur die letzte, der »Kecke Hahn«, ist dunkel und leer. Madame Bourgus, die Herrin des Hauses, ist an diesem Abend an den Blattern gestorben, und Maître Bourgus weint an ihrem Bett, oben im großen Zimmer. Sein Neffe David Chaillou, ein Bäckergeselle, der gerade erst aus Toulouse gekommen ist, betrachtet ihn ratlos von der anderen Seite des Tischs, auf dem zwei Kerzenleuchter stehen und ein Teller voll Weihwasser mit einem Buchsbaumzweig darin.

    Lasst uns weitergehen, dorthin, wo es warm und fröhlich ist.
    Die Wirtshäuser und Bratküchen sind die nächtlichen Sterne von Paris, duftende, warme Höhlen. Da gibt es den »Tannenzapfen« in der Rue de la Licorne und die »Löwengrube« in der Rue de la Coiffure, die »Guten Kinder« in der Rue des Bons Enfants und den »Reichen Landmann« in der Rue des Mauvais Garçons. Dazu die »Drei Hämmer«, die »Schwarze Trüffel« und das »Grüne Gitter« in der Rue Hyacinthe, wo sich die religiösen Orden, die Kapuziner, die Cölestiner, die Dominikaner, versammeln. Gerade ist mit verstörter Miene der Mönch Bécher zur Tür hereingekommen, um zu versuchen, beim Wein die Flammen eines Scheiterhaufens zu vergessen.

SECHSTER TEIL
    Der Friedhof der Unschuldigen Kinder

Kapitel 23
    D urch das Fenster betrachtete Angélique Béchers Gesicht. Ohne auf den geschmolzenen Schnee zu achten, der vom Dach auf ihre Schultern tropfte, stand sie dort in der Dunkelheit vor dem Wirtshaus Zum Grünen Gitter. Der Mönch saß vor einem Zinnkrug und trank mit starrem Blick.
    Angélique konnte ihn trotz des dicken Fensterglases deutlich sehen. Der Schankraum war nicht sehr verräuchert. Die Mönche und Geistlichen, die den Hauptteil der Gäste bildeten, machten sich nichts aus dem Pfeiferauchen. Sie kamen her, um zu trinken, Dame zu spielen und zu würfeln.
    Â 
    Lange war Angélique ziellos durch das verschneite Paris geirrt, bis die Nacht anbrach, die Räubern Deckung bot und die Bühne für Hinterhalte und Verbrechen bereitete. Der Zufall hatte sie

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