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Angelique Der Gefangene von Notre Dame

Titel: Angelique Der Gefangene von Notre Dame Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Golon Anne
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eine zweite kleine Gestalt aus der Kloake. Es war kein Zwerg, sondern ein beinloser Krüppel, dessen Rumpf in einer riesigen Holzschale saß. In den knotigen Händen hielt er hölzerne Griffe, mit denen er sich von Pflasterstein zu Pflasterstein vorwärtsstieß.
    Das Monstrum schaute mit forschendem Blick zu Angélique auf. Der Mann hatte ein grausiges, mit Pusteln übersätes Gesicht. Seine spärlichen Haare waren sorgfältig über den glänzenden Schädel gelegt. Sein einziges Kleidungsstück war eine Art blauer, an Knopflöchern und Aufschlägen mit goldenen Tressen besetzter Rock, der früher einem Offizier gehört haben musste. Zusammen mit einem blütenweißen Jabot ergab das einen höchst ungewöhnlichen Anblick. Nachdem er die junge Frau ausgiebig gemustert hatte, räusperte er sich und spuckte sie an. Angélique schaute ihn überrascht an und wischte sich anschließend mit einer Handvoll Schnee sauber.
    Â»Gut«, sagte der Beinlose zufrieden. »Sie weiß, mit wem sie spricht.«
    Â»Sprechen nennst du das? Tolle Art zu sprechen!«, rief Barcarole.
    Wieder brach er in sein eulenhaftes Lachen aus.
    Â»Schuhu! Was bin ich doch wieder geistreich!«
    Â»Gib mir meinen Hut«, wies ihn der Beinlose an.
    Er setzte einen Hut auf, um den als Schmuck eine schöne Feder gewunden war. Dann packte er seine Holzgriffe und machte sich auf den Weg.
    Â»Was will sie?«, fragte er nach einer Weile.

    Â»Wir sollen ihr helfen, einen Kuttenknaben um die Ecke zu bringen.«
    Â»Warum nicht? Wem gehört sie?«
    Â»Keine Ahnung...«
    Je länger sie durch die Straßen gingen, desto mehr Gestalten schlossen sich ihnen an. Erst hörte man Pfiffe aus dunklen Winkeln, von den Uferböschungen oder aus Höfen. Dann tauchten die Bettler mit ihren langen Bärten, ihren nackten Füßen und ihren weiten zerlumpten Umhängen auf, alte Weiber, die kaum mehr waren als von Schnüren und dicken Rosenkränzen zusammengehaltene Lumpenbündel, Blinde und Lahme, die ihre Krücken über die Schulter legten, um schneller voranzukommen, Bucklige, die noch keine Zeit gehabt hatten, ihren Höcker abzunehmen. Ein paar echte Arme und Kranke mischten sich unter die falschen Bettler.
    Angélique hatte Mühe, ihre Sprache zu verstehen, die mit seltsamen Wörtern gespickt war. An einer Kreuzung stießen sie auf einen Trupp Bewaffneter mit verwegenen Schnurrbärten. Erst glaubte sie, es seien Soldaten, vielleicht sogar Stadtwachen, aber rasch erkannte sie, dass es sich um verkleidete Räuber handelte.
    Die wölfischen Augen der Neuankömmlinge ließen sie zurückschrecken. Sie blickte sich hastig um und sah, dass sie von den abscheulichen Gestalten umzingelt war.
    Â»Hast du Angst, meine Schöne?«, fragte einer der Räuber und legte ihr einen Arm um die Taille.
    Â»Nein!«, erwiderte sie und schlug den aufdringlichen Arm herunter. Als der Mann nicht lockerließ, versetzte sie ihm eine Ohrfeige.
    Daraufhin geriet die Menge in Aufruhr, und Angélique fragte sich schon, was wohl mit ihr geschehen würde. Aber sie hatte keine Angst. Der Hass und die Auflehnung, die schon viel zu lange in ihrer Seele schwelten, verdichteten sich zu einem rasenden
Drang, zu beißen, zu kratzen und jemandem die Augen auszustechen. Auf dem Boden des Abgrunds angelangt, erkannte sie, dass es ihr nicht schwerfiel, sich an die Raubtiere anzupassen, die sie umgaben.
    Â 
    Es war der seltsame Cul-de-Bois, der mit seiner Autorität und seinem wütenden Gebrüll die Ordnung wiederherstellte. Der Rumpfmann hatte eine tiefe Stimme, die, wenn er sie einsetzte, seine Umgebung erschauern ließ und alles andere übertönte. Seine scharfen Worte beendeten den Streit. Jetzt erst sah Angélique, dass das Gesicht des Räubers, der sie provoziert hatte, von blutigen Striemen überzogen war und er eine Hand vor die Augen hielt. Aber die anderen lachten.
    Â»Alle Achtung, die Kleine hat dich ja ganz schön zugerichtet!«
    Angélique hörte sich ebenfalls lachen, ein herausforderndes Lachen, das sie selbst überraschte. So einfach war es also, sich auf dem Grund der Hölle zu bewegen? Und die Angst... Meine Güte, was war schon Angst? Ein Gefühl, das nicht existierte, höchstens etwas für die braven Pariser Bürger, die vor Furcht zitterten, wenn sie unter ihren Fenstern die Bettler auf dem Weg zum Friedhof der

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