Angelique und der Koenig
verschwunden sei. Die Frau Marquise wisse ja, dass sich in den Ställen weder Pferde noch Fahrzeuge befänden, abgesehen von zwei Sänften, die vermutlich übersehen worden waren. Angélique hatte alle Mühe, sich vor dem Untergebenen zu beherrschen. Sie wies Roger an, die Halunken, falls sie sich wieder einstellten, mit Stockhieben davonzujagen und ihnen ihren letzten Lohn vorzuenthalten. Worauf Maître Roger bemerkte, es bestünden wenig Aussichten, dass sie sich wieder meldeten, denn sie seien bereits in den Dienst des Herrn Marquis du Plessis-Bellière getreten. Im übrigen, fügte er hinzu, hätten die meisten dieser Burschen nichts Arglistiges darin erblickt, dass sie die Pferde und Wagen der Frau Marquise in die Stallungen des Herrn Marquis überführen sollten.
»Hier habt Ihr nur mir zu gehorchen!« sagte Angélique. Wieder gefasst, wies sie Maître Roger an, sich so rasch wie möglich zur Place de Grève zu verfügen, wo man Knechte dingen konnte. Alsdann zum Markt von Saint-Denis wegen der Pferde. Ein Vierergespann und zwei Renner zum Auswechseln würden genügen. Schließlich war der Wagner zu bestellen, der ihr bereits Kutschen geliefert hatte. Es war zwar hinausgeworfenes Geld, und von Philippes Seite aus war es Diebstahl, nicht mehr und nicht weniger, aber sie würde ihn deswegen weder bei der Polizei noch bei Gericht anzeigen können. Nein, es gab keinen anderen Ausweg als den, sich ins Unvermeidliche zu fügen. Und das war genau die Haltung, die ihrem Temperament am meisten widerstrebte.
»Und der Brief, den Frau Marquise ins Poitou schicken wollten?« erkundigte sich der Haushofmeister.
»Lasst ihn mit der öffentlichen Post befördern.«
»Die Post geht nur mittwochs ab.«
»Dann muss der Brief eben solange warten.«
Um ihre Nerven zu beruhigen, ließ sie sich in einer der zurückgebliebenen Sänften nach dem Quai de la Megisserie bringen, wo sie ihr Lager für die Vögel von den Antillen hielt. Dort wählte sie einen Papagei aus, der wie ein Seeräuber fluchte, ein Umstand, der die Ohren der schönen Athénaïs gewiss nicht beleidigen würde, im Gegenteil. Angélique fügte ihm einen Negerknaben bei, der in den Farben des Vogels gekleidet war: orangefarbener Turban, grüner Überrock, rote Hose, rote, goldbestickte Strümpfe. Mit den schwarzen Lackstiefeln, die ebenso glänzten wie sein Frätzchen, glich das Negerlein aufs Haar jenen venezianischen Leuchterträgern aus bemaltem Holz, die allmählich in Mode kamen. Es war ein fürstliches Geschenk. Angélique war überzeugt, dass Madame de Montespan es zu schätzen wissen und der Aufwand sich lohnen würde. Während törichte Leute auf trügerische Anzeichen hin unbedingt die zukünftige Favoritin in ihr sehen wollten, würde sie wohl die einzige sein, die die richtige Person hofierte. Sie musste lachen bei dem Gedanken, wie dumm und blind doch die Menschheit war.
Zehntes Kapitel
Beim ersten Schnee, der in jenem Jahre verfrüht fiel, machte sich der ganze Hof nach Fontainebleau auf. Die Bauern der Umgegend hatten ihren Grundherrn, den König von Frankreich, ersucht, ihnen bei der Ausrottung der Wölfe Beistand zu leisten, die ihnen großen Schaden zufügten.
In einer langen Kolonne zogen die Kutschen und Gepäckwagen, die Reiter und Läufer unter dem grauen Himmel durch die makellos weiße Landschaft. Acht Tage wollte man bleiben, um den Wolf zu jagen, was Bälle, Theateraufführungen und jene reizvollen, »Medianoche« genannten, mitternächtlichen Imbisse nicht ausschließen würde.
Als es dunkel wurde, zündete man die Harzfackeln an den Wagenschlägen an, und in einem Geriesel feuriger Tropfen erreichte man Fontainebleau, die einstige Residenz der französischen Könige des vierzehnten Jahrhunderts, aus der Franz I. eines der Juwele der Renaissance gemacht hatte, bevor er Karl V in ihr empfing. Die Grande Mademoiselle, der es Vergnügen bereitete, den Cicerone zu spielen, führte Angélique durch den königlichen Palast. Sie zeigte ihr das chinesische Theater, die Galerie Heinrichs II. und das Gemach, in dem zehn Jahre zuvor die Königin Christine von Schweden ihren Günstling Monaldeschi hatte ermorden lassen. Mademoiselle hatte die absonderliche Herrscherin des Nordens bei deren Aufenthalt in Frankreich recht genau kennengelernt.
»Sie kleidete sich auf eine Weise, dass sie eher einem hübschen jungen Manne glich. Keine einzige Frau befand sich in ihrem Gefolge. Ein Kammerdiener zog sie an, brachte sie zu Bett und stillte, mit Verlaub
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