Angels of the Dark: Verruchte Nächte
verschwinde, bevor er dir noch mehr antut, als bloß deinen Stolz mit Füßen zu treten, dachte Annabelle. Einen Moment lang überstieg ihr Mitgefühl für das Mädchen sogar ihren Zorn auf Zacharel.
„Ich habe nichts gesagt, aufgrund dessen du glauben könntest, ich würde dich begehren“, setzte er mit derselben Kälte an, die immer in seinen Worten lag. „Du hast voreilige Schlüsse gezogen. Deshalb werde ich es dir jetzt klar und deutlich sagen. Ich will dich nicht. Ich habe dich nie gewollt, und ich werde dich niemals wollen.“
Okay, wieder falsch gelegen. Der Mann hatte keine Gefühle.
Ein Schluchzen kam über die Lippen der Frau, und sie machte auf dem Absatz kehrt. Mit einem plötzlichen Rauschen breitete sie die Flügel aus. In ihren Federn war weit weniger Gold als bei Zacharel, und trotzdem waren sie bezaubernd. Jamila schoss in die Höhe und verschwand aus der Wolke.
Zacharels Blick war in Richtung des Bildschirms gerichtet, den Annabelle beobachtete, und sie wusste, dass er auf dem Weg in ihr Zimmer war. Weil sie nicht beim Spionieren erwischt werdenwollte, wedelte sie den Bildschirm fort. „Verschwinde!“ Die Luft wurde dünner, bis wieder nur die Wolkenwand vor ihr lag.
Eine Sekunde später trat Zacharel durch diese Wand, als wäre er aus einem verbotenen mitternächtlichen Traum entsprungen – einem wesentlich schöneren als denen, die sie in letzter Zeit gehabt hatte. Dichtes, seidig schwarzes Haar fiel ihm in die perfekte Stirn und überschattete seinen Blick, der sie mit durchdringender Intensität studierte. Er sah aus wie das blühende Leben, und doch lag in seinen Zügen etwas Uraltes, als sähen seine kalten grünen Augen alles, als entginge ihm nichts.
Die Kleidung, die er in der Anstalt getragen hatte, war fort. Stattdessen trug er ein langes weißes Gewand, das es trotz seiner Formlosigkeit schaffte, seinen unglaublichen Körperbau zu unterstreichen. Aber oh, oh, oh, mit ihm kam eine arktische Kälte. Schutz suchend schlang Annabelle die Arme um ihre Mitte.
Stumm betrachtete er sie von oben bis unten. Irgendetwas zog über sein Gesicht, etwas, das sie nicht deuten konnte, bevor er wieder seine sorgsam unberührte Maske aufsetzte. „Dir geht es gut.“
Ich werde mich nicht einschüchtern lassen, und ich werde nicht vor seinem Aussehen in Ehrfurcht erstarren . Annabelle stützte die Hände in die Hüften und ließ dem Ärger freien Lauf, der sich in ihr angesammelt hatte. „Und du bist ein Arschloch. Du hast mich zu deiner Gefangenen gemacht, nachdem ich dir gesagt hatte, dass ich lieber sterben würde!“
„Das ist keine angemessene Art, mit mir zu reden, Annabelle. Ich bin in einer gefährlichen Stimmung.“
Sie etwa nicht? „Oh, der mächtige Zacharel hat Gefühle“, warf sie ihm schnippisch an den Kopf. „Ein Weihnachtswunder!“
„Es ist nicht Weihnachten, und ich schlage vor, du mäßigst deinen Ton. Anderenfalls könnte es sein, dass ich dich beim Wort nehme und dich töte. Wie wäre das?“
Sie keuchte und wich vor ihm zurück, bis sie an die Bettkante stieß und fast hingefallen wäre. „Das würdest du nicht wagen. Nicht, nachdem du dir so viel Mühe gegeben hast, mich zu retten.“Pure Selbstverachtung verdunkelte seine Augen. „Ich habe meinen eigenen Bruder getötet, Annabelle. Es gibt niemanden, den ich nicht umbringen würde.“
Moment, Moment, Moment. Er hatte was? „Du lügst.“ Er musste lügen.
Drohend schnappte er mit den Zähnen. Dabei erinnerte er sie an ein verwundetes Tier, das zu große Schmerzen hatte, um sich helfen zu lassen. „Ich lüge nicht. Dazu gibt es keinen Grund. Menschen lügen, weil sie die Konsequenzen der Wahrheit fürchten. Ich fürchte nichts. Menschen lügen, weil sie die beeindrucken wollen, die bei ihnen sind. Mir sind alle gleichgültig. Du tätest gut daran, das im Gedächtnis zu behalten.“
Wie konnte dies derselbe Mann sein, der sich so rührend um sie gekümmert hatte? „Warum hast du deinen Bruder getötet?“
„Das ist für dich nicht von Bedeutung.“
Sie bohrte nach. „Wie hast du deinen Bruder getötet?“
Schweigen.
„War es ein Unfall?“
„Annabelle!“
Ganz eindeutig eine Warnung. Na gut. Fürs Erste würde sie das Thema fallen lassen. Doch das Bild mit dem verwundeten Tier passte. Was auch immer er getan hatte, er litt darunter.
„Warum lässt du mich in deiner Wolke wohnen“, wollte sie wissen, „wenn du mich so offensichtlich fürchtest? Und du fürchtest mich. Warum hättest du mich
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