ANGRIFF - Fantastischer Thriller (German Edition)
will wieder zurückgehen. Lass uns den Saft in den Ausguss schütten und die ganze Sache vergessen.«
»Nein, Lisl. Denk daran, was ich dir gesagt habe. Kein Bedauern, kein Zurückschauen. Wir machen unsere eigenen Regeln. Wir sind nur für uns selbst verantwortlich.«
»Das macht mir ja solche Angst.«
»Du wirst schon sehen.« Rafe startete den Wagen und reihte sich in den Verkehr ein. »Das wird dir die Augen öffnen. Du hast gerade deine Feuerprobe bestanden. Du hast eine weitere Fessel abgeschüttelt. Jetzt muss sich Everett Sanders beweisen. Jetzt hat er die Chance zu zeigen, was in ihm steckt.« Er streckte die Hand aus und drückte Lisl Hand. »Ich bin so stolz auf dich.«
»Bist du das wirklich?«
»Ja. Unglaublich stolz.«
Warum schäme ich mich dann so?
XXII
Ev fühlte sich schon den ganzen Tag irgendwie merkwürdig. Leicht benommen, nicht ganz beieinander. Nervös. Flatterig. Lethargisch und doch aufgekratzt. Merkwürdig beschwingt und gleichzeitig durchdrungen von einer Aura drohenden Unheils.
Während er an seinem Schreibtisch saß und die untergehende Sonne anstarrte, deren Licht durch sein Fenster drang, versuchte er das Sammelsurium von Symptomen zu deuten, an denen er litt, seit er heute Morgen seine Wohnung verlassen hatte. Aber irgendwie hatte er Probleme, überhaupt etwas zu deuten. Seine Konzentrationsfähigkeit, die sonst so messerscharf war, war ihm heute abhanden gekommen.
Er fühlte sich krank. Im einen Moment brach ihm der Schweiß aus, im nächsten zitterte er vor Kälte. Er hatte das Gefühl, er habe Herzrasen, aber er hatte seinen Puls schon mehrfach gemessen und immer war er in den niedrigen Neunzigern – hoch für seine Verhältnisse, aber sicher nicht außergewöhnlich. Er überlegte, ob er sich wohl einen Virus eingefangen hatte – Februar war schließlich Grippezeit –, aber auch wenn er sich fiebrig fühlte, er war im Krankenzimmer vorbeigegangen und seine Temperatur war normal.
Blutzucker? Konnte er hypoglykämisch sein? Unwahrscheinlich. Er hatte das Gleiche wie immer gefrühstückt: Orangensaft, Toast mit Halbfettmargarine, Nussmüsli mit entrahmter Milch und Kaffee. Zum Mittag hatte er den üblichen Thunfischsalat auf Roggenbrot gehabt, so wie jeden Donnerstag. Warum sollte sein Blutzucker dann zu niedrig sein? Vielleicht lag es am Kaffee. Vielleicht holte ihn das angestaute Koffein aus zwölf Tassen pro Tag seit wer weiß wie vielen Jahren jetzt doch noch ein. Er konnte sich nichts anderes vorstellen, was so einen Effekt auf ihn haben könnte.
Vielleicht sagte ihm sein Körper, dass es Zeit war, kürzerzutreten. Vielleicht würde das seine angegriffenen Nerven besänftigen.
»Ev? Ist mit dir alles in Ordnung?«
Er drehte sich auf seinem Stuhl herum. Lisl stand mit besorgtem Blick in der Tür.
Alles in Ordnung? Warum fragte sie so etwas? Stimmte etwas nicht? Wirkte er so krank?
»Ja. Mir geht es gut«, erwiderte er und hoffte, dass es überzeugend klang. »Alles in Ordnung. Warum fragst du?«
»Ach, ich weiß nicht. Ich wollte es nur wissen.« Sie biss sich auf die Oberlippe. »Ich meine, du siehst blass aus.«
Er sah blass aus? Lisl sah furchtbar aus. Ihr Gesicht wirkte verhärmt und ausgezehrt und sie hatte dunkle Ringe unter den Augen. Sie sah aus, als hätte sie die ganze Nacht nicht geschlafen.
Ev stand auf und ging auf sie zu.
»Mir geht es gut, Lisl. Aber was ist mir dir? Du siehst aus, als …«
Sie drehte sich um und hastete davon. Irritiert stand Ev an seiner Bürotür und sah hinter ihr her. Zuerst war sie so besorgt über sein Befinden, dann drehte sie sich um und rannte weg, während er mit ihr redete. Sie schien mit den Nerven am Ende. Er hatte sie bisher nur einmal so aufgewühlt gesehen, und das war im Dezember, als sie ihm von diesem Anruf erzählt hatte …
Der Anruf! Hatte sie wieder einen Anruf erhalten? Verdammt, er hatte vergessen, den Detective anzurufen! Was war nur los mit ihm? Normalerweise vergaß er nie so etwas. Nun, er würde keine weitere Minute verstreichen lassen.
Er zog den Zettel mit der Nummer aus der Tasche und wählte augenblicklich. Diesmal ging der Mann an den Apparat, als der Anruf in sein Zimmer durchgestellt wurde.
»Ja?« Eine Stimme mit einem New Yorker Akzent.
»Ist da Detective Augustino? Hier ist Professor Sanders. Wir haben letzte Woche miteinander gesprochen …«
»Ja richtig, vor Ihrer Haustür. Haben Sie den Kerl auf dem Foto wiedererkannt?«
»Ja. Ich glaube, er ist einer der Arbeiter hier auf
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