ANGRIFF - Fantastischer Thriller (German Edition)
musste sie mal etwas gegen diese überflüssigen Pfunde unternehmen.
2.
Er fiel Lisl schon in der Tür auf. Sie hatte ihn noch nie zuvor gesehen. Jung, nicht sehr groß – höchstens ein Meter fünfundsiebzig, schätzte sie – und sehr schlank. Vom äußeren Erscheinungsbild nicht wirklich herausragend, trotzdem war er der erste Mann, den sie als solchen bemerkte. Er bewegte sich geschmeidig, grazil und elegant. Er trug einen dünnen Schnurrbart und seine olivfarbene Haut wurde durch die perfekt gebügelte weiße Hose und das weiße Hemd sogar noch betont. Seine Kleidung saß so perfekt, als sei sie direkt für ihn gemacht (was sie ja vielleicht sogar war), und er stach aus diesen schmerbäuchigen, zotteligen Intellektuellen in ihren Cordjacken heraus wie ein Prinz unter Bauern. Der Mann hatte Stil.
Er schenkte gerade einigen Professorenfrauen, die ihn unübersehbar anhimmelten, Drinks ein. Als er sich umdrehte, glitten seine Augen über sie hinweg und kehrten dann zu ihr zurück. Er lächelte und deutete eine knappe Verbeugung an. Lisl errötete unvermittelt, freudig überrascht, dass er gerade sie persönlich grüßte.
Wahrscheinlich macht er das bei jeder Frau, die durch diese Tür kommt, dachte sie, als er sich abwandte, um mit jemandem zu sprechen.
Lisl schlängelte sich durch das Gedränge im Wohnzimmer, nickte, lächelte und sagte Hallo zu den Gesichtern, die sie erkannte. Ihr Ziel war die Bar – ein Wohnzimmertisch, der voll stand mit Bier, Weinkrügen, Mineralwasser, Mixbechern und ein paar Flaschen Hochprozentigem. Lisl trank normalerweise kaum Alkohol, aber mit einem halb vollen Glas in der Hand hatte sie eher das Gefühl, dazuzugehören und von den anderen akzeptiert zu werden.
Während sie sich ihren Weg bahnte, bemerkte sie aus dem Augenwinkel, dass der elegante junge Unbekannte sie scheinbar beobachtete. Wer war er? Der Sohn von einem der Gäste?
An der Bar stieß sie auf den Gastgeber, den korpulenten, leutseligen Calvin Rogers. Rogers hatte sich ein Ziegenbärtchen zugelegt, um den Haarverlust auf dem Schädel auszugleichen. Er hob sein Glas und lächelte: »Hallo! Etwas zu trinken?«
Lisl entnahm seiner Miene, dass ihr Gesicht ihm zwar bekannt vorkam, er sie aber gerade nicht unterbringen konnte.
»Sicher.«
»Wein, Bier, oder etwas Härteres?«
»Einen Weißwein, bitte.«
»Sofort!« Als er aus einem Zwei-Liter-Krug einschenkte, sagte er: »Das ist eine Hausregel: Ich mache Ihnen den Ersten, danach herrscht Selbstbedienung.«
»Schön«, sagte Lisl. »So viel ich will?«
Er hob die Augenbrauen und grinste.
»Ach, wird das eine von diesen Nächten?«
Lisl lachte. »Nicht wirklich.« Sie zögerte einen Moment und rang mit sich, ob sie ihn fragen sollte, dann beschloss sie, sich ins eiskalte Wasser zu wagen. »Sagen Sie mal, ich sehe hier ein paar neue Gesichter. Einige sehr junge.«
»Ja, ich habe ein paar der neuen Doktoranden eingeladen.«
Sie blickte zu dem dunkelhäutigen jungen Mann hinüber. »Ach tatsächlich.«
»Das ist Losmara«, sagte Rogers. »Rafael. Ziemlicher Stutzer, nicht war? Aber er ist ein brillanter Kopf. Wirklich brillant. Kommt von der Arizona State Universität, die nicht gerade für ihre psychologische Fakultät bekannt ist, aber er hat einen Artikel geschrieben, in dem er ein kybernetisches Modell zur Erklärung von Schizophrenie entwirft. Der Aufsatz hat mich einfach umgehauen. Da wusste ich, das ist jemand, der es noch weit bringen wird. Und egal, wohin er später berufen wird, ich wollte, dass er von hier berufen wird. Ich konnte ihn nicht mit Geld locken – wenn ich das richtig verstanden habe, hat seine Familie Geld wie Heu –, also habe ich mich hin und her geziert und ihn schließlich doch nach Darnell gelockt, damit er hier seine Doktorarbeit schreibt. Ich schätze, er wird uns allen noch etwas beibringen, bevor er damit fertig ist. Ich habe ihn und die anderen Doktoranden heute Abend eingeladen, damit sie sich in der Fakultät heimischer fühlen.«
»Das ist nett von Ihnen.«
Er lächelte und reichte ihr das Weinglas. »Ich bin ein netter Kerl. Das behaupten wenigstens alle.«
Lisl schlenderte durch das vollgestopfte Wohnzimmer auf der Suche nach jemandem, den sie kannte. Sie hielt sich von den Bücherregalen fern, weil zu vermuten stand, dass sie später noch viel Zeit vor ihnen verbringen würde. Eine komplette Runde und sie stand allein an der Schiebetür, die auf den Hinterhof hinausführte.
Das ging so nicht. Ohne jemand aus ihrer
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