ANGRIFF - Fantastischer Thriller (German Edition)
Leben ist doch etwas komplizierter als eine Schüssel voller Brezeln.«
»Natürlich ist es das. Es ist eine Schüssel voller Wahlmöglichkeiten. Eine Reihe von Entscheidungen, die man immer wieder in jedem Augenblick trifft, vom ersten bewussten Atemzug an bis zu dem Moment, in dem man stirbt. Und jede Entscheidung, die Sie treffen, spiegelt das, was Sie sind. Sie gibt Aufschluss darüber, wo Sie herkommen, und wohin Sie gehen.«
Seine Besessenheit war etwas beängstigend, aber auch aufregend. Sie rührte an etwas in ihr.
»Na gut«, sagte sie. Sie wollte sich nicht mit ihm streiten, wollte ihm aber auch nicht so einfach recht geben. »Brezeln sagen etwas über den Menschen aus?«
Rafe suchte sich eine weitere heile Brezel mit drei Löchern aus der Schale und biss herzhaft hinein.
»Natürlich!«
Lachend biss Lisl ein großes Stück aus ihrer eigenen.
Ja. Das war wirklich ein sehr interessanter junger Mann.
3.
Viel zu bald begannen sich die Räume zu leeren. Die Leute gingen schon so früh. Das war die kürzeste Party, auf der Lisl je gewesen war. Sie sah auf ihre Uhr und war schockiert, dass es schon 1:06 Uhr war. Unmöglich. Sie war doch gerade erst gekommen. Aber ein zusätzlicher Blick auf die Uhr über dem Kamin verriet ihr das Gleiche.
»Ich schätze, ich sollte besser gehen«, sagte sie zu Rafe.
Er lächelte. »Es tut mir leid, dass ich Sie die ganze Zeit so in Beschlag genommen habe.«
Sie in Beschlag genommen – das war ein Witz.
»Keine Angst. Das haben Sie nicht.«
»Sie haben eine Fahrgelegenheit?«, fragte er und hielt sie mit seinem Blick fest.
»Ja.«
Für einen Augenblick wäre es ihr lieber gewesen, dass sie das nicht hätte. Aber so gern sie auch ihr den ganzen Abend andauerndes Gespräch fortgesetzt hätte, wenn sie jetzt mit ihm mitgefahren wäre, würde das den Eindruck erwecken, sie hätte sich aufreißen lassen, und das hätte dann in der mathematischen Fakultät die Runde gemacht, noch bevor sie am Montag wieder zur Arbeit erschien.
»Gut«, sagte er, »ich fühle mich nämlich verpflichtet, Doktor Rogers beim Aufräumen zur Hand zu gehen.«
»Natürlich.«
Lisl konnte sich nur schwer vorstellen, wie Rafe Losmara so ganz in weiß Aschenbecher ausleerte und Gläser auswusch. Aber die Tatsache, dass er sich freiwillig dazu bereit erklärte, sagte auch etwas über ihn aus.
Er brachte sie zur Vordertür, wo er ihre Hand nahm, als wolle er sie schütteln. Aber dann ließ er nicht wieder los. »Das wäre ohne dich eine ganz schön öde Angelegenheit geworden.«
Lisl lächelte. Das hätte ich auch sagen können.
»Glauben Sie das wirklich?«
»Ich weiß es. Kann ich dich anrufen?«
»Natürlich.« Als ob du das tun würdest.
»Gut. Ich melde mich.«
Sicher.
Lisl machte sich keine Illusionen, jemals wieder von ihm zu hören. Nicht, dass es irgendeinen Unterschied machte. Ein netter Abend. Nein, er war mehr als nett gewesen – der interessanteste, anregendste Abend seit – sie wollte gar nicht daran denken, wie lange das her sein mochte. Es war schade, dass er enden musste, aber so war das nun mal. Rafe, dieser faszinierende Doktorand, schien tatsächlich an ihr interessiert. An ihr. Und sie hatte nicht die geringste Mühe gehabt, ihren Teil zu der Konversation beizusteuern. Was für ein tolles Gefühl. Aber es war vorbei. Sei froh, dass es so nett gewesen ist und belass es dabei. Sie war froh, dass sie zu der Party gegangen war. Vor allem hatte es sie in ihrem Entschluss bestärkt, mehr unter Leute zu gehen.
Feten-Lisl – das werde ich sein.
4.
Als sie wieder in ihrer Wohnung war, stöhnte sie vor Erleichterung auf, als sie sich endlich aus der Hose pellen konnte. Sie machte sich bettfertig und griff nach der bernsteinfarbenen Restorilflasche mit dem Sicherheitsverschluss, hielt dann aber inne. Heute Nacht wollte sie keine Schlaftablette. Der Gedanke, noch ein paar Minuten wach zu liegen und die Erinnerungen an den Abend Revue passieren zu lassen, gefiel ihr.
Das Telefon klingelte, als sie unter die Bettdecke glitt.
»Hallo, ich bin’s«, sagte eine weiche Stimme.
Lisl erkannte sie sofort. Sie wunderte sich über die heiße Aufwallung, die über sie hinwegströmte.
»Hallo Rafe.«
»Ich bin Doktor Rogers entkommen und jetzt zu Hause, aber ich bin immer noch ziemlich aufgedreht. Hast du Lust, dich zu unterhalten?«
Ja, das hatte sie. Sie könnte die ganze Nacht lang reden. Und das taten sie beinahe auch.
Bevor er schließlich auflegte, fragte er, ob sie morgen
Weitere Kostenlose Bücher