ANGRIFF - Fantastischer Thriller (German Edition)
Heights kommen musste. Sie schüttelten sich die Hände – sie trafen sich nicht häufig genug, um auf diese Förmlichkeit zu verzichten – und setzten sich dann an einen der Tische. Renny nahm seinen dritten Scotch mit dahin, Nick einen Bierkrug.
Renny gefiel, wie dunkel und ruhig es hier war. Der Geruch von kaltem Tabakrauch und schalem Bier störte ihn nicht. Es kam nicht oft vor, dass man bei Leons die Gelegenheit zu einem oder auch mehreren Scotch ganz für sich allein hatte. Das war immer nur in der Mitte einer Schicht so, wie gerade jetzt. Aber in einer Dreiviertelstunde, wenn die Frühschicht zu Ende ging, sah das ganz anders aus. Dann würden die meisten der Männer vom Midtown North hier die Bar umlagern.
»Nun, Nick«, sagte Renny, »was treiben Sie so?«
»Teilchenphysik«, sagte der jüngere Mann. »Soll ich wirklich davon erzählen?«
»Eigentlich nicht. Was macht das Liebesleben?«
Nick nippte an seinem Bier. »Ich liebe meine Arbeit.«
»Machen Sie sich keine Sorgen«, meinte Renny. »Das ist nur eine Phase, über die Sie hinwegkommen werden.«
Renny lächelte und sah seinen Gefährten an. Doktor Nick, wie er ihn nannte – oder Dr. rer. nat. Nicholas Quinn, wie er an der Columbia Universität hieß – war ein seltsamer Vogel. Aber waren Physiker das nicht immer? Albert Einstein zum Beispiel. Der sah doch wirklich äußerst merkwürdig aus. Also hatte Nick vielleicht sogar das Recht komisch auszusehen. Wenn das stimmte, was Renny über ihn erfahren hatte, hatte Nick Quinn einen Verstand, der mit dem Einsteins locker mithalten konnte. Und unter all dem ungekämmten Haar einen Schädel wie der Elefantenmensch. Außerdem hatte er blasse, unreine Haut mit lauter kleinen Narben, als hätte er als Jugendlicher schwere Akne gehabt. Und dann diese Augen. Mittlerweile trug er Kontaktlinsen, aber aus den immer weit aufgerissenen Augen und dem abgeflachten Eindruck, den die Augenhöhlen machten, schloss Renny, dass er den größten Teil seines Lebens flaschenbodendicke Brillengläser getragen hatte. Er war an die dreißig, hager, ging ein wenig gebeugt und bekam einen Bierbauch. Da war es nicht sehr überraschend, dass er ledig war. Ein Nerd, wie er im Buche stand. Aber wer weiß? Vielleicht würde er eines Tages die perfekte Nerdine finden und eine Familie von Nerdlingen großziehen.
»Wie steht’s mit Ihnen?«, fragte Nick.
»Könnte nicht besser sein, Junge. Hat mich fünf Jahre gekostet, aber jetzt bin ich wieder Detective Sergeant.«
Nick hob sein Bier. »Meinen Glückwunsch.«
Renny nickte, trank aber nicht. Das war schon länger her. Und außerdem hätte er gar nicht erst degradiert werden dürfen.
»Und Joanne hat sich einen Versicherungsvertreter in Manhattan gesucht und wieder geheiratet.«
Nick schien sich nicht sicher, wie er darauf reagieren sollte.
»Keine Sorge, Junge. Das ist auch eine gute Nachricht. Jetzt muss ich keinen Unterhalt mehr zahlen.«
Darauf nahm Renny einen Schluck, aber tief in seinem Innern fand er das nicht zum Feiern. Joanne. Wieder verheiratet. Er hatte eine Weile gebraucht, bis ihm die Endgültigkeit dieser Nachricht klar geworden war. Sie hatte damit allen Hoffnungen auf eine Versöhnung endgültig den Todesstoß versetzt.
»Wo wir von Neuigkeiten reden – warum wollten Sie sich mit mir treffen?«
Renny lächelte: »Aufgeregt?«
»Nein. Neugierig. Seit damals habe ich regelmäßig angerufen und seit Jahren habe ich immer nur zu hören gekriegt: Nichts Neues. Jetzt rufen Sie mich an. Ich weiß, dass Sie die Leute gern zappeln lassen, Mr. Detective, und ich hänge schon lange genug an der Leine. Also, was haben Sie?«
Renny zuckte die Achseln. »Vielleicht etwas, vielleicht auch nicht.« Er zog den Brief von der Telefonfirma aus der Tasche und schob ihn über den Tisch. »Das ist heute gekommen.«
Er beobachtete Nick, als der den Brief studierte. Sie hatten sich vor fünf Jahren kennengelernt, während des Falls Danny Gordon. Seitdem waren sie in Kontakt geblieben. Das ging von Nick aus. Nachdem Renny den Fall Gordon versaut hatte, war Nick auf der Wache erschienen – Renny war damals noch im 112. Revier in Queens – und hatte sich erboten, in jedweder Weise behilflich zu sein. Renny hatte höflich aber bestimmt abgelehnt. Das Letzte, was er brauchen konnte, war ein naseweiser Gutmensch, der im Weg herumstand. Aber Nick war beharrlich gewesen und hatte als Trumpf die Gemeinsamkeit in ihrer Biografie ausgespielt, die sie alle drei verband.
Waisen.
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