ANGRIFF - Fantastischer Thriller (German Edition)
Unzurechnungsfähigkeit davonkommen. Nicht, wenn Renny dazu etwas zu sagen hatte.
Er öffnete die Tür zu dem Ruheraum und sah sich den Kerl an, der behauptete, Priester zu sein. Groß, glattrasiert, kantiger Kiefer, dichtes braunes Haar, das an den Schläfen grau wurde, gute Figur. Ein gutaussehender Kerl, aber im Moment wirkte er todmüde und ziemlich durch den Wind. Er saß vorgebeugt auf dem durchgesessenen Sofa, mit einer Tasse des bitteren, zu lange aufgewärmten Krankenhauskaffees in beiden Händen. Seine Finger zitterten, als er mit den Handflächen über den Becher strich, als versuche er die Wärme der dampfenden Flüssigkeit durch die Styroporwände der Tasse herauszusaugen. Das konnte er lange versuchen.
»Sie haben mit dem St.-Francis-Waisenhaus zu tun?«, fragte Renny.
Der Kerl zuckte zusammen, als sei er mit den Gedanken irgendwo ganz anders gewesen. Er sah Renny an, dann wieder weg.
»Zum zehnten Mal, ja.«
Renny setzte sich auf den Stuhl im gegenüber und zündete sich eine Zigarette an.
»Zu welchem Orden gehören Sie?«
»Der Gesellschaft Jesu.«
»Ich dachte, St. Francis wird von Jesuiten geführt.«
»Das ist das Gleiche.«
Renny lächelte. »Das war mir bekannt.«
Der Kerl lächelte nicht zurück. »Was Neues über Danny?«
»Er wird noch operiert. Haben Sie je von Pater Ed gehört? Der war früher in St. Francis.«
»Ed Dougherty? Ich bin ihm einmal begegnet. Beim hundertjährigen Jubiläum von St. F’s. Er ist mittlerweile gestorben.«
Der Kerl hatte die magischen Worte gesagt: St. F’s. Nur jemand, der dort gelebt hatte, nannte das Waisenhaus St. F’s.
Gut. Also war er wahrscheinlich wirklich Pater William Ryan, S. J., aber das bedeutete noch nicht zwingend, dass er nichts mit dem zu tun hatte, was dem Jungen angetan worden war. Es gab eine Menge Priester mit seltsamen Neigungen.
»Hören Sie, Detective Angostino, können wir uns den Smalltalk für später aufheben?«
»Ich heiße Au gostino, und das ist kein Smalltalk und in einer Sache wie dieser gibt es auch kein Später.«
»Ich habe es Ihnen doch gesagt, es war Herb. Der Ehemann. Herbert Lom. Das ist der Täter. Sie sollten da draußen sein und …«
»Wir haben ihn. Wir bringen ihn her, um ihn untersuchen zu lassen.«
»Hierher?« Ryans Müdigkeit schien wie weggeblasen. Seine Augen funkelten. » Hierher? Geben Sie mir ein paar Minuten allein mit ihm in diesem Raum hier. Nur fünf Minuten. Nur zwei!« Der Styroporbecher zerbrach plötzlich in seiner Hand und überschüttete ihn mit heißem Kaffee. Er schien es kaum zu bemerken. »Nur eine lausige Minute!«
Gut. Der Priester war also entweder ein hervorragender Schauspieler oder er hatte mit der Misshandlung des Kindes wirklich nichts zu tun.
»Ich will, dass Sie mir die ganze Geschichte erzählen«, sagte Renny.
»Das habe ich bereits zweimal getan.« Die Müdigkeit war wieder in Pater Ryans Stimme zurückgekehrt. »Vielleicht auch dreimal.«
»Ja, aber anderen Leuten, nicht mir. Nicht direkt. Ich will es selbst hören, ich will, dass Sie mir das erzählen. Von dem Augenblick an, als diese Leute St. F’s betreten haben, bis zu dem Moment, als Sie hier mit dem Rettungswagen angekommen sind. Die ganze Sache. Lassen Sie nichts aus.«
Also begann Pater Ryan zu reden und Renny hörte zu. Er hörte einfach zu und unterbrach nur, wenn etwas unklar war.
Nichts davon ergab einen Sinn.
»Sie wollen mir also sagen«, fasste er zusammen, als der Priester am Ende der Geschichte angelangt war, »dass die das Kind mehrere Wochenenden, sogar ganze Wochen, bei sich zu Hause hatten und ihm nie auch nur ein Haar gekrümmt haben?«
»Nach dem, was Danny gesagt hat, haben sie ihn wie einen kleinen Prinzen behandelt.«
»Und kaum ist die Adoption dann offiziell, schlitzt der Kerl den Jungen auf. Was steckt dahinter? Was hat das zu bedeuten?«
»Das bedeutet, dass ich Mist gemacht habe, das bedeutet es!«
Renny sah den gequälten Blick in Pater Ryans Augen und fühlte mit ihm. Der Mann litt wirklich.
»Sie haben die üblichen Routinechecks durchgeführt?«
Der Priester sprang von dem Sofa auf und begann in dem kleinen Raum hin und her zu tigern, wobei er die Hände aneinander rieb.
»Die alle und noch mehr. Sara und Herb Lom waren so blütenweiß wie der fallende Schnee da draußen. Aber es war nicht genug, nicht wahr?«
»Was diese Sara angeht – irgendeine Ahnung, wo die ist?«
»Wahrscheinlich tot und die Leiche irgendwo im Haus versteckt. Verdammt! Wie konnte ich
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