Angst sei dein Begleiter: Thriller (German Edition)
sie zum Fenster ging, um noch einmal nach draußen zu blicken.
Nichts. Sie stieß ein kleines, zaghaftes Lachen aus. Verrückt. Es war, als hätte sie ein Todeshauch gestreift.
Es gab überhaupt keinen Grund, sich so zu fühlen, und doch ließ diese Vorahnung von Unheil sie nicht los, als sie die Treppe zu ihrer Wohnung hinaufstieg.
Max erwachte, als die Sonne im Westen unterging und den Himmel mit ihren letzten Strahlen färbte. Wie immer, wenn er die Augen aufschlug, heftete sich sein Blick auf ein Bild, das er mit einem Nagel an der Holzkiste befestigt hatte, die er sein Zuhause nannte.
Und wie immer kamen die Erinnerungen bei diesem ersten Blick, nachdem er den Tag verschlafen hatte. Er erinnerte sich an das Leben, das er geführt hatte, bevor er sich für sein jetziges entschieden hatte.
Sam und Mickey. Seine Söhne. Sie lächelten ihn von dem verblassten Foto entgegen. Sie waren so liebe Jungen gewesen, so voller Lachen und Leben.
Es hatte auch einmal eine Mutter gegeben, Max’ Frau. Sie war gestorben, als die Jungen zwei und vier Jahre alt gewesen waren. Sosehr Max sich auch bemühte, er konnte sich nicht mehr an ihren Namen erinnern. Doch in seinen seltenen lichten Momenten, wenn der Schlaf gerade erst gewichen war, erfüllte ihn die Erinnerung an seine Söhne.
Mickey war der ältere gewesen, ein hübscher Junge, aufgewachsen mit der Liebe zu allem, was mit Sport zu tun hatte, und zu seinem jüngeren Bruder Sam. Sam war stiller gewesen, nicht so sportlich. Er war schüchtern und hatte Freude am Lesen und an Musik gehabt.
Sie waren damals die drei Musketiere, die zusammen lachten und einander liebhatten in allen Höhen und Tiefen des Lebens. Die Jungen waren der Grund gewesen, weshalb Max morgens aufstand, ihr Lachen war der Klang, der ihn den Alltag ertragen ließ.
Mit zitternder Hand nahm er das Foto von der Kistenwand. Zum Zeitpunkt der Aufnahme waren sie vierzehn und sechzehn Jahre alt gewesen und saßen auf einem Sofa. Sam trug Shorts und ein T-Shirt, Mickey eine Jeans und kein Hemd. Das Foto war nicht gestellt, sondern Max hatte einfach spontan nach seiner Kamera gegriffen und drauflosgeknipst. Er hatte den Film entwickeln lassen, und am Tag vor ihrem Tod hatte er die Bilder abgeholt.
Schmerz … unerträglicher Schmerz, gemischt mit niederschmetternder Trauer fiel über ihn her. Ihm wurde die Brust eng, so eng, dass es ihm den Atem nahm, und das wünschte er sich. Er wollte sterben, wenn er an das dachte, was er verloren hatte.
Doch irgendwann in ferner Vergangenheit hatte man ihn gelehrt, dass es eine Todsünde sei, sich das Leben zu nehmen, dass die Folge einer solchen Tat die ewige Verdammnis sei. Und wenngleich er tief in einem verborgenen Winkel seines Bewusstseins ahnte, dass er sich längst in der Hölle befand, fürchtete er doch, dass es noch etwas Schlimmeres als sein derzeitiges Leben geben könnte.
Er schob das Foto in seine Gesäßtasche, und als die Erinnerungen verblichen, ließen rasch auch der Schmerz und der Kummer nach. Mit einem Grunzen kroch er aus seiner Kiste, und seine Gelenke knackten und die Muskeln schmerzten, als er sich zu seiner vollen Größe aufrichtete.
Es würde wohl eine gute Nacht werden, vermutete er, denn der Markt war den Tag über gut besucht gewesen. Das verhieß gute Mülltonnen und mit ein wenig Glück hinuntergefallenes Kleingeld auf den Gehsteigen und Parkplätzen, wovon er sich eine Flasche Schnaps kaufen könnte. Damit war gesichert, dass die Erinnerungen fernblieben.
Die Nacht brach schnell herein. Max hatte eine feste Routine, und zuerst suchte er den Parkplatz in der Nähe des Marktes auf, wo die verrückte Betty schon vor ihm eingetroffen war. Er hob grüßend die Hand, doch sie zog ein finsteres Gesicht, drückte eine Einkaufstüte voller Tannenzapfen an die Brust und huschte davon.
Auf dem Parkplatz fand er vier Dollar und zwölf Cent, die ihm süßes Vergessen in Form von billigem Gin versprachen. Sein nächstes Ziel war der Spirituosenladen. Er kaufte sich seine Flasche und schob sie in die Innentasche seines Mantels.
Dann ging er weiter zu der Mülltonne hinter dem italienischen Restaurant. Selbst in schlechteren Nächten fand sich dort gewöhnlich ein bisschen Brot.
Als er die Mülltonne hinter Joey’s Restaurant durchwühlt hatte und den Park durchquerte, sah er, wie in der Wohnung der Puppendame das Licht ausging. Anna. Nein, das stimmte nicht. Annalise. Er mochte sie. Sie hatte gütige Augen, und wenn sich im Müll nichts
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