Angst sei dein Begleiter: Thriller (German Edition)
leisteten ihm Gesellschaft. Was ihm fehlte, war ein neues Projekt. Sein Verlangen pulsierte mit fiebriger Hitze in seinem Inneren, doch an diesem Abend würde er keine neue Puppe finden, nicht, solange es regnete und Blitze am schwarzen Himmel zuckten.
Er ermahnte sich, dass er noch nicht bereit war für eine weitere Puppe, denn zunächst musste er entscheiden, welche er wiedererschaffen wollte. Dann folgten stundenlanges Nähen, Frisieren und Schminken.
Er war kein Experte im Nähen, sondern hatte sich viel anhand von Büchern aus der Bücherei und durch Übung beigebracht. Sein Entschluss, nähen zu lernen, war ein offener Akt des Widerstands gegen seine Mutter gewesen, die geglaubt hatte, dass jeder Junge, der nähte, schwul sein musste.
Kimono-Kim. Die hübsche Puppe mit dem kunstvollen Kostüm war wie eine Geisha geschminkt, und seit dem ersten Donnergrollen war sie ihm nicht mehr aus dem Sinn gegangen. Sie würde eine Herausforderung darstellen. Er musste das ideale asiatische Mädchen finden, und es würde viele Stunden dauern, das Kostüm nachzunähen. Während die Details der neuen Puppe ihm im Kopf herumschwirrten, beruhigte er sich allmählich.
Es wäre schön, wenn er seinen eigentlichen Job aufgeben und sich ganz seinem künstlerischen Talent widmen könnte, doch das war nicht möglich.
Er drosselte das Tempo, als er sich der Einkaufsmeile näherte, zu der der Dollar General Store gehörte. Die Läden waren schon seit Stunden geschlossen, und von der Straßenseite her war nichts zu sehen. Er wagte es nicht, um den Laden herum auf den Hinterhof zu fahren, aber er hätte gern gewusst, ob Margie schon gefunden worden war. Natürlich war sie nicht mehr Margie, als er seine Arbeit beendet hatte. Da war sie zu einer Flapper-Fanny geworden.
Bestimmt hatte jemand auf seinen anonymen Anruf reagiert. Er wollte es – nein, es musste einfach sein –, dass jemand seine Arbeit sah, sein Talent erkannte und bewunderte.
Der Sturm flaute ab, und er wendete und wusste genau, wohin er jetzt fahren wollte. Minuten später parkte er den Wagen und machte sich auf den Weg zum Blakely Dollhouse … zu ihrem Haus.
Annalise. Ihr Name dröhnte in seinem Kopf, als er im Park stand und den Blick auf das Gebäude richtete, in dem die Lichter gelöscht waren.
Er blieb lange dort stehen und starrte zu den Fenstern im zweiten Stock hinauf, wo sie wohnte. Als er sich vorstellte, wie er ihre Puppe erschaffen würde, regte sich wieder Verlangen in ihm. Bei dem Drang, sie zu besitzen, sie zu erschaffen, schnürte es ihm beinahe die Luft ab.
Doch er war noch nicht bereit. Es war zu früh. Erst musste er sicherstellen, dass alle den Sinn seiner Puppen, seine Genialität erkannten, bevor er seine Arbeit mit ihr zum Abschluss brachte.
Trotzdem musste er ihr näherkommen, so nahe, dass er sich den Duft ihres Parfüms vorstellen konnte, diesen sanften, blumigen Duft. Er überquerte die Straße und ging seitlich an dem Gebäude vorbei. Vereinzelte Blitze spendeten ihm genug Licht, so dass er sich orientieren konnte.
Er wusste, wie das Haus von innen aussah, denn er war einmal hineingegangen, als es gerade renoviert wurde. Der Laden befand sich im Erdgeschoss, das Lager im ersten Stock und ihre Wohnung im Obergeschoss … Er war auf der Rückseite des Hauses angelangt und noch nicht bereit, in seine Wohnung zurückzukehren.
Der Regen tröpfelte aus den Dachrinnen, und die Holzverkleidung am Haus glänzte vor Nässe. Lag sie jetzt im Bett und plante eine neue Puppe?
Bald würde sie von ihm und von seiner Arbeit erfahren. Ob sein Genie sie faszinieren, sein Talent sie einschüchtern würde?
Er hoffte es. Er hoffte, dass sie Angst haben würde, so wie ihn die Angst gepackt hatte, wenn seine Mutter erwähnte, dass eine neue Blakely-Puppe auf den Markt kommen sollte.
Er ging an der anderen Seite des Gebäudes entlang und blieb wie erstarrt stehen. Vor Aufregung spürte er ein Kribbeln am ganzen Körper. Die Feuerleiter aus Metall war früher einmal leuchtend rot gewesen, jetzt ähnelte die Farbe nur noch einem rostigen, abgenutzten Braun. Doch es war nicht die Feuerleiter, die seine Aufmerksamkeit auf sich zog.
Es war das offene Fenster im ersten Stock, gleich rechts neben der Leiter. Dieses Fenster war nur einen zentimeterbreiten Spalt geöffnet, doch es lockte ihn mit einem Sirenengesang, der Erfüllung und Hochgefühl versprach.
Wenn ein Mann auf der Feuerleiter stand, konnte er dieses Fenster problemlos erreichen. Er konnte
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