Angst über London
kümmerte sich um die Menschen.
Weiter hinten, dem Trafalgar Square zu, explodierte etwas. Die Feuersäule wirkte bedrohlich.
Ich bog in eine Nebenstraße ein. Wieder das gleiche Bild. Zerstörte Häuser, Gebäude in Trümmern, ineinander verkeilte Fahrzeuge. Aus einem Haus sprudelte Wasser. Wahrscheinlich war dort ein Rohr gebrochen. Ich stieg über einen geknickten Laternenmast und sah die zerstörten Bars und Nepplokale. Um die war es sicherlich nicht schade.
Am schlimmsten war die Stille. Sie zerrte regelrecht an den Nerven. Nur wenn der Wind Pappe oder Papier vor sich her wehte, wurde die Stille unterbrochen.
Ich sah das Apollo Theatre. Nur noch Trümmer. Ein Stück weiter stand das Queens Globe Theatre. Auch nur Fragmente.
Was war noch heil?
Schräg gegenüber sah ich einen düsteren Bau. Von ihm war nur das Dach abrasiert worden. Aber dieses Haus kannte ich gut, weil ich ihm schon des Öfteren einen Besuch abgestattet hatte.
Es war das Schauhaus von Soho. Hier wurden die Opfer aufbewahrt, die gewaltsam ums Leben gekommen waren. Und davon gab es in Soho ziemlich viele.
Eine breite Treppe führte hoch. Die Doppeltür hing schief in den Angeln, die Fenster waren zerstört. Zahlreiche Glasscherben lagen auf der Straße.
Ich weiß auch nicht, warum ich stehenblieb, aber es konnte ein Gefühl gewesen sein.
Ich schaute die Treppe hoch und sah, dass sich die Tür bewegte. Aber nicht vom Wind, sondern der Druck entstand innen, und dann wurde sie mit einem Ruck aufgestoßen.
Im Rechteck stand eine Gestalt.
Ein lebender Toter!
***
Miriam di Carlo lächelte.
Sie stand am Fenster ihrer Wohnung und schaute auf Soho. Sie sah, wie das Flugzeug abstürzte, und sie nickte wissend. Ja, alles lief genau nach Plan. Sie hatte es geahnt.
Wieder schaute sie zum Himmel hoch und suchte nach dem Gesicht.
Der Himmel blieb leer. Tief holte sie Atem. Dann ging sie ins Bad, legte ein wenig Rouge auf und zog die Lippen nach.
Zufrieden betrachtete sie ihr Gesicht im Spiegel, fuhr mit den Fingern durch die Haarflut und drehte sich spielerisch herum. Sie fand Gefallen an sich selbst, und sie fand Gefallen an der Umwelt. Das Schicksal hatte zugeschlagen.
Sorgfältig strich sie ihren Kaschmirpullover glatt, der mit einem tiefen V-Ausschnitt versehen war. Die grüne Farbe stand ihr gut. Der karierte Rock lag eng an, ihre Beine wurden vorteilhaft zur Geltung gebracht.
An der Garderobe hing der Staubmantel. Ihn warf sie nur locker über und verließ die Wohnung.
Im Treppenhaus war es totenstill. Normalerweise hätten die Bewohner aufgeschreckt sein müssen, doch das war nicht der Fall. Die Menschen hielten sich zurück, als wüssten sie Bescheid.
Dem war jedoch nicht so.
Neben dem Aufzug lag eine Frau in verkrümmter Haltung am Boden. Sie hielt noch ihre Einkaufstasche fest.
Der Fahrstuhl funktionierte.
Miriam holte ihn hoch, wartete, bis die Türhälften auseinander geglitten waren, und stieg ein. Sie fuhr nach unten.
Allein durchquerte sie die Halle. Ihre Schritte waren die einzigen Geräusche. Das Echo wurde von den kahlen Wänden zurückgeworfen.
Der Portier lag in seiner Kabine und rührte sich nicht.
Miriam di Carlo verließ das Haus.
Ärgerlich rümpfte sie die Nase, als der Wind ihr den Brandgeruch entgegentrieb.
Dann ging sie weiter.
Sie stopfte beide Hände in die Manteltaschen und schlenderte wie eine Spaziergängerin durch das tote London. Da sie dicht am Stadtrand von Soho wohnte, war es nur ein Katzensprung, bis sie die ersten zerstörten Fahrzeuge und Häuser sah.
Das Chaos machte ihr nichts aus. Im Gegenteil, sie ergötzte sich daran.
Miriam ging weiter. Der Wind spielte mit ihrem Haar und blähte es auf.
Eine schöne Frau in einer im Tode erstarrten Landschaft. Kein Maler der Welt hätte die Szenerie besser einfangen können, als sie in Wirklichkeit dargeboten wurde.
Oft musste sie Umwege machen, weil der Weg immer wieder durch Trümmer versperrt war. Davon ließ Miriam sich nicht abbringen. Sie hatte sich ein Ziel gesetzt und wollte es erreichen. Sie nahm Abkürzungen. Ein paar Mal sah sie Menschen, doch die entdeckten sie nicht.
Dann fielen Schüsse.
Sie lächelte nur.
Die Menschen, die jetzt noch lebten, hatten es verdient. Sie würden später die Elite bilden.
Ja, so stand es vorgeschrieben, so würde es kommen - sie durchschritt eine schmale Gasse, stieg über einen Trümmerberg und sah ein Blechschild, das im Wind pendelte.
ATOMIC BAR
Das war ihr Ziel. Sie hatte genau gewusst, dass ihr
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