Angst über London
Honda wohl. Ich war zwar nicht vorschriftsmäßig gekleidet, mir fehlte unter anderem der Sturzhelm, aber es musste auch ohne gehen.
Und Gegenverkehr herrschte kaum.
Außerdem konnte ich nur im Schritttempo fahren und musste auch immer wieder Trümmerbrocken oder Schutthalden ausweichen.
Ich tuckerte langsam durch das Amüsierviertel von Soho. Es sah traurig aus, doch manchmal, wenn ich in die Einfahrten hineinschaute, sah ich auch auf den Hinterhöfen huschende Bewegungen, hörte Schüsse oder Schreie. Dann erreichte ich einen Platz, auf dem sonst hohe Ulmen wuchsen. Sie waren auch jetzt noch vorhanden, allerdings lagen sie unter den Trümmern eines Hauses, das auf sie gekippt war. Einige Äste schauten wie Arme aus dem Mauerwerk hervor.
Ich fuhr um den Platz herum, schaffte es bis zur Hälfte, dann kam ich nicht mehr weiter, sondern konnte nur noch nach rechts einbiegen, wo es noch eine freie Straße gab. Links von mir war alles zusammengebrochen. Ein riesiger Schuttberg türmte sich auf.
Ich warf noch einmal einen Blick zurück.
Da sah ich ihn.
Er stand auf dem Berg, hatte sich wirklich die höchste Stelle ausgesucht und erinnerte mich an ein Denkmal. Doch es war keins.
Derjenige, der sich dort oben aufhielt, war Destero, der Dämonenhenker.
Ich drehte und bremste.
Die Maschine stand. Beide Füße stellte ich auf den Boden, damit auch ich den nötigen Halt besaß. Destero wirkte wie der große Sieger. Seine Hände hatte er auf den Griff seines Schwertes gelegt, die Spitze der Klinge berührte einen großen Stein.
Wie immer trug er nur seine Kapuze und eine lange enge Hose. Die Stiefel waren kaum zu erkennen. Gern hätte ich gewusst, wie sein Gesicht unter der Kapuze aussah, aber das war vorerst noch ein Wunschtraum geblieben.
Wir fixierten uns.
In mir stieg die Wut hoch. Ich dachte an vergangene Fälle, wo ich ihn fast gehabt hätte. Ich dachte auch an das Abenteuer in der Schädelwelt, wo er vor meinen Augen ein Mädchen getötet hatte und ich es nicht hatte verhindern können.
Seit diesem Zeitpunkt hasste ich ihn noch mehr. Und er wusste das.
Trotzdem stand er triumphierend auf der Schutthalde und genoss es, auf mich herabsehen zu können. Dann hörte ich seine Stimme. Grollend schallte sie zu mir herunter. »John Sinclair!« donnerte er. »Ich weiß, dass du alles daransetzen willst, um mich zu vernichten, doch es wird dir nicht gelingen, glaube es mir. Die Zeit ist reif. Asmodina hat zugeschlagen. Sie hat endlich das Chaos und das Grauen gebracht. London erstickt unter der Apokalypse. Die Angst nimmt allen den Atem, auch dir wird sie bald die letzte Hoffnung rauben! Wir haben gewonnen!«
Das hatten sie in der Tat, und ich wusste es auch, aber ich dachte nicht daran, mich auf ein Streitgespräch einzulassen. Ich startete und fuhr einfach davon.
Sein Lachen schallte mir nach. Es bereitete mir fast körperliche Schmerzen.
Als ich abermals einen Blick über die Schulter zurückwarf, war Destero verschwunden. Etwas Gutes hatte sein Auftauchen jedoch gehabt.
Ich war gewarnt, wusste jetzt, dass nicht nur irgendwelche Rocker auf mich lauerten, sondern auch gefährliche Dämonen wie Destero.
Gegen sie waren die Rocker eine leichte Beute. Ich war noch vorsichtiger geworden, als ich in die nächste schmale Straße einbog.
Und da hörte ich die Musik.
Sie überraschte mich völlig, denn damit hätte ich nie im Leben gerechnet. In einer toten Stadt, wo das Grauen sich ausgebreitet hatte, vernahm ich Musik.
Ich stoppte und lehnte die Honda gegen eine umgekippte Mauer. Da das Motorengeräusch verstummt war, konnte ich die Melodie besser hören.
Sie musste aus einer der Bars dringen, und sie passte zu der gesamten Szenerie.
Song of Death - das Lied vom Tod!
Ein Film hatte diese Melodie berühmt gemacht, jetzt schallte sie mir entgegen.
Begleitmusik des Teufels. Meine Nackenhaare stellten sich hoch, als ich quer über die Straße ging und meine Schritte auf die Bar zu lenkte, die den Namen ATOMIC trug. Die Tür stand offen. Aus dem Rechteck wehten mir die Klänge entgegen.
Für mich stand fest, dass ich nachschauen musste.
Natürlich rechnete ich mit einer Falle und war entsprechend vorbereitet.
Ich verließ mich allerdings nur auf mein Kreuz, das offen vor der Brust pendelte. Bisher hatte es mich nicht im Stich gelassen.
Einen Schritt vor der Tür blieb ich stehen, sah die zerbrochenen Schaukästen auf dem Boden. Dann gab ich mir einen Ruck und betrat die Bar…
***
Im gleichen Augenblick
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