Angst vor dem Blutbiss
sie zusammengeschweißt hat. Irgendein Ereignis, ein Vorgang. Ich habe es gemerkt, ich habe meinen Vater auch danach gefragt, aber er hat nie konkret geantwortet. Er hat statt dessen immer von einer Männerfreundschaft gesprochen. Erst als ich die Sache mit dem Unbekannten erzählte, da war er wie elektrisiert. Den Rest kennt ihr ja.«
Die beiden anderen Mädchen nickten. »Wann wird denn die Hilfe hier erscheinen?« fragte Katja.
»Morgen, denke ich.«
»Das weißt du?«
»Ja«, gab Katja zu, »ich hätte nur gern gewußt, wie diese Hilfe aussieht. Ich habe schon daran gedacht, daß unsere Väter persönlich hier auftauchen werden.«
»Nein«, sagte Susan, »das auf keinen Fall. Dann hätten sie auch etwas sagen können, aber mein Vater hat sich zurückgehalten. Er muß diesem Helfer voll vertrauen.«
Die anderen nickten.
Die Zeit verging, die Spannung wuchs.
Längst war es finster geworden, aber keines der Mädchen traute sich, aufzustehen und ans Fenster zu treten.
»Wißt ihr, wie ich mir vorkomme?« fragte Susan schließlich.
»Wie denn?«
»Eine Puppe kann nicht anders sein.«
Da gaben ihr die beiden recht. Sie waren Puppen. Ihr Menschsein war zerstört worden. Sie hatten das Pech gehabt, in eine Zange hineinzugeraten, aus der sie nicht mehr herauskamen. Es fiel ihnen schwer, zu denken, und mit Schrecken dachten sie daran, daß noch eine Arbeit vor den Ferien geschrieben wurde. Ein harter Sprachentest, viel Grammatik, was nicht allen Schülern lag.
Auch spürten sie die Müdigkeit, wobei der Wein nicht ganz schuldlos war.
Susan erhob sich als erste und reckte sich. »Ich werde wohl schlafen gehen.«
»Jetzt schon?« wunderte sich Marisa.
»Ja.«
Zum Bett ging Susan noch nicht. Sie näherte sich dem Fenster und überwand sich selbst, als sie vor der Scheibe stehenblieb und nach draußen schaute.
Dann öffnete sie es.
Die beiden anderen Mädchen erschraken, sagten aber nichts. Sie waren nur froh über die kühle Luft, die plötzlich hereinströmte und etwas die Hitze des Tages vertrieb. Es tat ihnen gut, die Mädchen hielten ihre Gesichter gegen die kühle Luft, und als sie die Lippen bewegten, sah es aus, als wollten sie den Wind trinken.
Susans Blick wanderte in die Ferne. Weit, weit hinein oder hinaus in das Land, über dem die Schatten der Nacht wie gewaltige, dunkle Fahnen hingen. Sie klammerten sich an den Flanken und den Gipfeln der Berge fest, sie wollten einfach nicht loslassen, sie waren starr, und nur das Licht der Gestirne sickerte in sie hinein.
Und natürlich der bleiche Schein des Mondes.
Wie ein gelbes Auge stand er über dem Land und bewachte es. Tief unten im Tal lag der große See, von dem sie bei klarem Wetter einen Ausschnitt sehen konnten.
In dieser Nacht natürlich nicht.
Susan drehte sich wieder um. Sie sah die gespannten Gesichter ihrer Freundinnen auf sich gerichtet.
»Hast du was gesehen?« fragte Marisa.
»Was sollte ich gesehen haben?«
»Na ja, alles. Die Nacht, die Berge, vielleicht den See und… und…«
»Was und?«
»Du weißt schon«, flüsterte die Italienerin.
»Nein, das habe ich nicht. Ich habe IHN nicht gesehen, und ich hoffe, daß wir IHN uns auch nur eingebildet haben.« Nach diesen Worten schloß Susan das Fenster und zog den Vorhang davor. Es hatte ausgesehen wie eine endgültige Geste, die besagt, daß eine gewisse Susan Carrigan mit diesem Fall abgeschlossen hatte. Marisa Melli sagte nichts.
Katja sprach auch nicht, aber sie war dabei, die Karten einzusammeln und sie in das Etui zu stecken.
Die beiden Weinflaschen waren bis auf den letzten Tropfen geleert worden. Marisa nahm sie in ihren Schrank, während sich Katja schon auszog. Geduscht hatten sie und Marisa, aber die Mädchen bewegten sich wie Statisten in einem Film, die es noch nicht gelernt hatten, auch die kleinste Rolle auszufüllen. Sie sahen so aus, als gingen sie jeweils neben sich her. Da war nichts Natürliches mehr in ihren Bewegungen, alles wirkte aufgesetzt und roboterhaft.
Wenn sie sich zufällig anschauten, huschte jeweils ein knappes, unechtes Lächeln über ihre Lippen. Sie vermieden es tunlichst, über ein gewisses Thema zu sprechen und hielten sich zurück.
Katja lag als erste im Bett.
Auch Marisa legte sich nieder. Den Hinterkopf legte sie auf ihre verschränkten Hände und schaute zur Decke, als könnte sie dort die Lösung ihrer Probleme ablesen.
Als letzte legte sich Susan nieder. Nur ihre Nachttischleuchte gab noch Licht ab. »Soll ich das Licht
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